Der rechtsextreme Chemnitzer Anwalt Martin Kohlmann zur möglichen "Anerkennung" seiner Separatistenambitionen durch Russland:
Über den Kopf der lautstarken Kleinstpartei "Freien Sachsen" und Fitzeks Anwalt schreibt die Freie Presse weiter:
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Rechtsextremer Anwalt Martin Kohlmann: Provokateur im Dienste Putins?
Erschienen am 14.06.2022
Die deutsche Flagge steht Kopf, wenn Martin Kohlmann die Polit-Wende herbeiredet. Als er 2018 Reden schwang, ähnelte seine Pose der Lenins am finnischen Bahnhof in St. Petersburg. Mitten im Krieg kam der Revolutionär 1917 dort an, vom Deutschen Reich als Agent Provocateur dorthin geschleust, um Russland zu schwächen. Foto: imago/Paul Sander
Für Sie berichtet Jens Eumann
Er propagiert den Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik. Er bekennt sich als Putin-Versteher. Auch hob der rechtsextreme Anwalt Martin Kohlmann einen Verein aus der Taufe, dessen Zeitung Russen in Deutschland Putins Sicht auf die Krim erklärt, auf ukrainische, lettische und litauische "Nazis". Welche Interessen verfolgt der Chemnitzer Anwalt damit? Und wessen Interessen?
Chemnitz/Berlin/Krasnojarsk.
Eine Huldigung gegenüber der Waffen-SS findet sich in deutscher Berichterstattung selten wieder. In Lettland wird solche Huldigung indes alljährlich lettischen Kämpfern zuteil, die im Zweiten Weltkrieg gegen russische Besatzer kämpften - aufgenommen in die Reihen der Waffen-SS. Die an russischstämmige Bürger in Deutschland gerichtete Zeitung "Berliner Telegraph" griff das Phänomen dieses Jahr in ihrer Januar-Ausgabe auf. In ihrem Bericht ging die Zeitung auf die Demontage eines Denkmals in Belgien ein. Wegen eines im Weltkrieg im belgischen Ort Zedelgem befindlichen Gefangenenlagers war das Denkmal 2018 dort errichtet worden - für lettische Freiheitskämpfer. Was bei der Errichtung unerörtert blieb: Der lettische Freiheitskampf gegen russische Besatzer im Weltkrieg ging eben meist einher mit Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen SS.
Eine in Belgien einberufene Historikerkommission bewertete das Denkmal nachträglich als "unpassend" und plädierte für dessen Abbau. Ein Monument dieser Art wäre selbst in Lettland "kontrovers", urteilte die Kommission. International könne es wegen der Ambivalenz der geehrten Kriegsbiografien zum "Gegenstand von Missverständnissen" werden, befanden die Historiker.
In der Tat sorgt die regelmäßige Ehrung von SS-Mitgliedern in Lettland ebenso regelmäßig für Proteste. 2014 wurde ein Minister wegen Teilnahme an den Huldigungen von der Regierungschefin entlassen. Auf solche Vielschichtigkeit der Situation in Lettland ging der Artikel im "Berliner Telegraph" aber nicht ein. Der Text der auf Russen in Deutschland zugeschnittenen Zeitung schloss mit dem Satz, Europa habe verdeutlicht: "Lettland verherrlicht den Nationalismus und darauf muss in irgendeiner Weise reagiert werden."
2015 beleuchtete der "Berliner Telegraph" wohlwollend die Pegida-Bewegung. Foto: Screenshot: Berliner Telegraph
Angesichts aktueller russischer Kriegsrhetorik, die den Angriff aufs Nachbarland Ukraine mit angeblich nötiger "Entnazifizierung" zu legitimieren sucht - Entnazifizierung eines von einem jüdischen Präsidenten geführten Landes wohlgemerkt - klingt der "Telegraph"-Artikel nachträglich wie eine Legitimation. Die mögliche Legitimation eines Folgeschritts Wladimir Putins in Richtung Lettland nach seinem zunächst wohl erhofften Blitzsieg in der Ukraine. Doch erschien der Artikel im Januar. Inzwischen ist vieles anders. Blitzsieg, von wegen!
Auch ist selbst den vormals zaghaftesten unter den Nato-Partnern inzwischen klar: Putin pfeift auf Grenzen anderer Länder und ebenso auf seit Jahrzehnten etabliertes internationales Recht. In der Folge steht das zuvor schon mal als "hirntot" diagnostizierte Verteidigungsbündnis Nato geeint da wie selten: Zumindest was den sogenannten Bündnisfall betrifft, der ja besagt, dass ein Angriff auf einen Partner - zu denen ja auch die baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen gehören - einem Angriff auf alle gleichkommt.
Ob dem "Berliner Telegraph" im Januar ein vielfacher Tippfehler unterlief oder ob jemand eine Freudsche Fehlleistung fabrizierte, mag dahingestellt sein. Auf jeden Fall findet sich im genannten Artikel des Blattes auch folgender Satz: "Litauen heroisiert mit dieser Denkmal-Politik den Nazismus." Wer nun? Lettland oder Litauen? Fehler? Zufall? Legitimationseifer?
Der Chefredakteur der 2014 nach der russischen Annexion der Krim gegründeten Zeitung für Russen heißt Aleksandr Boyko. Auf aktuelle Anfrage der "Freien Presse" zu eventuellen Zuwendungen von russischer Seite an seine Publikation hat Boyko bisher nicht geantwortet. Als ein Rechercheteam des ARD-Magazins Kontraste ihn vor drei Jahren zu politischen und finanziellen Hintergründen des "Berliner Telegraphs" befragte, beteuerte er indes, von staatlicher russischer Seite "keine Kopeke" zu bekommen. Weder direkt aus dem Ausland noch über eine der vielen russischen Stiftungen.
Allerdings erwähnte er einen günstigen Mietpreis am zeitweise gewählten Domizil des "Berliner Telegraphs". Von Mai 2018 bis Juli 2019 war die Zeitung laut Impressum im Russischen Haus in Berlin ansässig. Die Berliner Adresse Friedrichstraße 176 - 179 ist zugleich Sitz der von Putin 2009 per Erlass ins Leben gerufenen "Föderalen Agentur für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, im Ausland lebende Landsleute und internationale humanitäre Zusammenarbeit", kurz Rossotrudnichestvo. Ihr Auftrag: Den Kulturaustausch und ein umfassendes Russlandbild fördern. Laut der Agentur gilt die "russischsprachige Diaspora in Deutschland" mit über 4,5 Millionen Menschen als die größte Europas. Die meisten seien Russlanddeutsche, die als Spätaussiedler aus Russland und Ländern der Sowjetunion nach Deutschland kamen. Immer wieder belegte das "Russische Haus" mit Programmvorschauen ganze Seiten im "Berliner Telegraph". Anzeigengeld als Staatsförderung über Umwege?
Kohlmann stand selbst im Dienst der russischen Zeitung: als deren Rechtsabteilung. Foto: Screenshot: Berliner Telegraph
Mit ganzseitiger Präsentation tauchte im "Berliner Telegraph" mehrfach auch ein Mann auf, der Geburtshelfer der Zeitung war: Der vom sächsischen Verfassungsschutz als Rechtsextremist beobachtete Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann. Gar nicht mal als Anzeigenkunde findet sich Kohlmann im "Berliner Telegraph" wieder. Bis zum Jahr 2015 nannte die Zeitung ihn sogar als eigene "Rechtsabteilung".
Auf eine Anfrage, die die "Freie Presse" im Nachhall der 2018 von Kohlmann mit geschürten Chemnitzer Ausschreitungen stellte, winkte dieser ab. Er habe als Anwalt lediglich bei der Gründung des russischen Kulturvereins Tolstoi geholfen - jenes Vereins, als dessen Organ die Zeitung "Berliner Telegraph" ursprünglich bezeichnet wurde. Gegründet wurde der russische Kulturverein Tolstoi in Chemnitz. Gründungsvorsitzender war Aleksandr Boyko. Ihren Hauptsitz hatten der Verein und seine Vereinszeitung "Berliner Telegraph" von 2014 bis April 2018 auch nicht in Berlin, sondern in Chemnitz. Konkret im Haus der Anwaltskanzlei Kohlmanns an der Brauereistraße.
Die erste Adresse der für Russen in Deutschland gemachten Zeitung: Kohlmanns Kanzlei. Foto: Toni Söll
Ob Boyko damals auch für Kohlmanns Kanzlei tätig war, etwa zur Akquise russischer Mandantschaft, dazu hüllte sich Kohlmann 2018 bei der Anfrage der "Freien Presse" in Schweigen: "Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zu Interna meiner Arbeit nicht äußere", antwortete er. Relevanz kam der Frage damals zu, weil beim bundesweiten Mobilisieren für die Chemnitzer Proteste auch russische Netzwerke in sozialen Medien eine Rolle spielten. Zudem gab es bei der weltweiten Berichterstattung über die Chemnitzer Ereignisse eine Besonderheit der Reflexion in russischen Medien: Der Akzent, Berichte über die Ausschreitungen verstellten den Blick auf die vorangegangene verursachende Straftat. Bei einem Messerangriff zweier Asylbewerber waren am Rande des Chemnitzer Stadtfestes ein Deutschkubaner getötet und ein Russe schwer verletzt worden.
Auf eine weiterführende Anfrage, die die "Freie Presse" nach Beginn des Krieges in der Ukraine 2022 erneut an Rechtsanwalt Kohlmann richtete, räumt dieser regelmäßigen Kontakt zu Boyko während der vorigen drei Jahre ein. "Circa 900 Mal" hätten sie in dieser Zeitspanne Kontakt gehabt. Anlass für die erneute Nachfrage nach den Russland-Kontakten des Anwalts lieferte eine Rede, die Kohlmann am 5. März dieses Jahres in Chemnitz hielt - als Vorsitzender der rechtsextremen Kleinpartei "Freie Sachsen".
Man müsse "nicht Russe sein", um zur neuen "Anti-Elite" zu gehören, schalt Kohlmann auf dem Bahnhofsvorplatz, wo neben sächsischen auch russische Fahnen geschwenkt wurden. Für eine Ausgrenzung reiche jetzt schon, "Putin-Versteher" zu sein, klagte Kohlmann. Er legte dar, inwiefern er Putin verstehe - und inwiefern das Verbindungen zu Forderungen der "Freien Sachsen" liefert: Putin wolle, "dass anerkannt wird, dass die Krim zu Russland gehört", so Kohlmann: "Auch wir sprechen uns dafür aus, dass ein Gebiet einen Staat verlassen kann, wenn es sich in diesem Staat nicht mehr wohl fühlt." Im selben Duktus kommentierte Kohlmann Putins Begehren nach Anerkennung der Unabhängigkeit der Donbass-Republiken im Osten der Ukraine. "Auch hier können wir Sachsen nur sagen, wir gestehen jedem zu, einen Staat, in dem man sich nicht mehr vertreten fühlt, in dem man systematisch benachteiligt wird, zu verlassen." Der deutschen Regierung warf Kohlmann Kriegstreiberei gegenüber Russland vor und folgerte: "Wenn die so weitermachen, haben wir noch einen ganz wichtigen Grund, aus der BRD auszutreten und sofort unsere Neutralität zu erklären." Im Jargon seiner Partei nennt man den propagierten Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik Säxit. Mit seinen Folgerungen provozierte Kohlmann "Widerstand"-Sprechchöre.
Dass die "Freien Sachsen" mit Russland sympathisieren, habe man beim Verfassungsschutz im Blick, sagt Patricia Vernhold, Sprecherin des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Es beobachtet die "Freien Sachsen" als extremistische Partei. Auch berücksichtige das LfV, dass Kohlmann bei Reden Parallelen ziehe zwischen der Anerkennung der Unabhängigkeit der Donbassrepubliken und seiner eigenen Säxit- Forderung, so Vernhold.
Ob er angesichts erwähnter Parallelen zwischen den von Russland unterstützten Unabhängigkeitsansprüchen im Donbass und der Forderung nach Säxit bei dessen Umsetzung auf russische Hilfe hoffe? "Ich denke, das kriegen wir Sachsen schon selber hin", kontert Kohlmann auf "Freie Presse"-Anfrage. Auf die Frage, ob er denke, ein von Deutschland losgesagtes Sachsen werde von Russland anerkannt, fällt seine Antwort länger aus. Russland habe die meisten neu entstandenen Staaten der letzten Jahrzehnte anerkannt. Zudem sei Sachsen lange "wichtiger Bündnispartner Russlands", woran "wieder angeknüpft" werden könne, argumentiert er. Dass Russland unter Vorwänden einen Angriffskrieg gegen ein Nachbarland führt und anderen Nachbarn drohte, sollten sie nicht still halten, scheint den Anwalt nicht zu irritieren. Woher er die Gewissheit nehme, dass - anders als bei der Ukraine - Putin eine Integrität eines unabhängigen Sachsens anerkenne? Kohlmann antwortet nur lapidar: "Wladimir hat es mir versprochen." Inwiefern die scheinbar scherzhaft angedeutete Nähe zu Putin ablenken soll von tatsächlichen Russlandverbindungen Kohlmanns bleibt offen.
Immerhin gab der Anwalt über Jahre eine Kooperation mit russischen Anwälten im sibirischen Krasnojarsk auf seiner Geschäftspost an. Bei der 2018 gestellten "Freie Presse"-Anfrage blockte er die Frage nach dem Wesen dieser Kooperation ab. Auf aktuelle Anfrage hin geht er darauf ein: "Wenn ich deutsche Unternehmen oder Einzelpersonen vertreten habe, die in Russland investiert haben oder dies vor hatten, habe ich für diese rechtliche Einschätzungen der russischen Kollegen eingeholt", schreibt Kohlmann auf Frage der "Freien Presse". Die Zusammenarbeit bestehe aber seit "vielen Jahren" nicht mehr. Weder er noch seine Kanzlei, ebenso wenig die von ihm geführten Parteien erhielten von russischer Seite finanzielle Unterstützung, schreibt Kohlmann. Eine Rückrecherche beim Zoll dazu bleibt erfolglos. Zoll-Sprecher Dietmar Zwengel bittet um "Verständnis, dass man grundsätzlich keine Auskünfte zu Vorgängen aus der operativen Analyse der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) erteilen" könne, "insbesondere zu möglicherweise vorliegenden Einzelfällen".
Seine Antworten auf die Fragen der "Freien Presse" sandte Kohlmann übrigens nicht an die Redaktion zurück. Er veröffentlichte Fragenkatalog und Antworten auf der Webpräsenz der "Freien Sachsen".
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