Ein Zeuge zeigt, warum die Verfahren auch heute noch wichtig sind.
Unfreiwillig. Aber er zeigt es:
Spoiler
Von Sommer 1944 bis April 1945 tat Dey als junges Mitglied des SS-Totenkopfsturmbanns Dienst im KZ Stutthof. Er stand bewaffnet auf einem jener Holztürme am Zaun, von dem aus die Gefangenen überwacht wurden. Es habe da "keine besonderen Vorkommnisse" gegeben, sagt er nun. Mit dem, was im Lager geschah, habe er nichts zu tun gehabt.
Der Verurteilte sagt, die Toten hätten "entsorgt" werden müssen
Dey bräuchte sich nur den Schuldspruch in seinem Fall durchzulesen, dazu vielleicht ein wenig Zeitgeschichte. Er mag sich allerdings nur partiell an seine Vergangenheit erinnern, "sind ja schon ein paar Tage vergangen", wie er sagt. Nach Wahrheitsfindung oder gar Reue klingen seine Aussagen nicht, auf nahezu alles muss ihn der Richter Groß hinweisen. Keine besonderen Vorkommnisse im KZ? "Gemunkelt" habe man, dass Menschen vergast worden seien, so Dey auf Anfrage. Später berichtet er, dass er gesehen habe, dass Menschen in die Gaskammer geführt worden seien. "Ich hab' aber nicht gesehen, wie die wieder rausgekommen sind."
Habe er Geräusche von Menschen gehört? Der Richter meint vermutlich Schreie. "Die Möglichkeit besteht", antwortet Dey, "aber das weiß ich heute nicht mehr." Wie die Menschen aussahen? "Alle gleiche Kleidung, alle kahlen Kopf." Und das Krematorium? Er habe da "mal reingeschaut" und drei große Öfen gesehen. "Im Dauereinsatz" sei das Krematorium gewesen, vor allem nach einer Diphterie-Epidemie. Auch einen Scheiterhaufen habe es gegeben. "Es gab laufend Tote, die mussten ja irgendwie entsorgt werden."
Entsorgt. Auch der erfahrene Nebenklägeranwalt Hans-Jürgen Förster ist entsetzt von der Art, wie dieser Verurteilte von diesen Verbrechen spricht. "Empathielos", sagt Förster, "bestürzend." Auf Stapeln seien die Toten gelegen, nackt, erläutert Dey. "Gerüche?", fragt der Richter. "Geräusche?", fragt Dey zurück. "Geruch", sagt der Richter noch lauter. "Gestank." - "Da muss Geruch gewesen sein, wenn Leichen verbrannt werden", erwidert Dey, "aber ich weiß es nicht." Er weiß auch nicht mehr, ob die Gefangenen ausgemergelt waren.
Über die KZ-Kommandantur und den Kommandanten Paul Werner Hoppe, für den Irmgard F. tippte, sagt Dey auch nicht viel Erhellendes. Er habe "sowieso ein sehr schlechtes Personengedächtnis". Ob er Unrecht erkannt habe, will der Nebenklägeranwalt Christoph Rückel wissen. "Sicher war das Unrecht, was dort geschehen ist, was soll ich antworten?", sagt Dey. "Ich komm da nicht mehr mit. Ich bin doch hier nicht vor der Anklage." Nach zwei Stunden werden die Angeklagte und der Zeuge wegen Müdigkeit wieder hinausgeschoben, in ein paar Wochen soll Deys Vernehmung fortgesetzt werden. Frau F., mahnt ihr Betreuer, sei mehrfach eingenickt.