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Spoiler
Ebenfalls unbeanstandet blieben zentrale Aussagen des Correctiv-Berichts wie "Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland" oder "Ihr wichtigstes Ziel: Menschen sollen aufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschland vertrieben werden können – egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht" oder "Masterplan zur Ausbürgerung deutscher Staatsbürger". Sowohl der Rechtsanwalt von Vosgerau, Dr. Carsten Brennecke (Höcker Rechtsanwälte), als auch Correctiv selbst, vertreten durch Thorsten Feldmann (JBB Rechtsanwält:innen) stuften diese Aussagen als nicht angreifbare Meinungen ein. Correctiv betonte gegenüber LTO und Übermedien, diese seien "auf belastbarer faktischer Basis" erfolgt.
PR-Auseinandersetzung ohne Bezug zum Gerichtsverfahren
Gleichwohl reichten beide Parteien im Prozess insgesamt 15 eidesstattliche Versicherungen ein, sieben von Teilnehmern des Treffens, acht von Correctiv-Journalisten, die die Kernvorwürfe betreffen oder um sie kreisen. Bei genauerer Betrachtung widersprechen sich die Versicherungen allerdings weder untereinander, noch werden der Berichterstattung von Seiten Vosgeraus andere Tatsachen entgegengesetzt.
Die Versicherungen dienten den Parteien vielmehr zum öffentlichen Meinungskampf um Deutungshoheit. Vosgeraus Rechtsanwalt Brennecke nutzte diese, um den wirkkräftigen Wertungen von Correctiv und deren Überlieferung durch andere Medien etwas entgegenzusetzen, was allerdings so gar nicht im Beitrag stand. Correctiv selbst veröffentlichte ebenfalls Versicherungen, und zwar mit den hehren Worten: "Wir garantieren die Richtigkeit unserer Recherche mit unserer persönlichen Freiheit und dem Medienhaus Correctiv als Sicherheit". Angesichts des Umstands, dass der Inhalt der schmal gehaltenen Versicherungen weitestgehend ohnehin unstreitig war, eine überaus übertrieben-pathetische Formulierung. Von beiden Seiten also PR.
Das Landgericht (LG) Hamburg ließ sich hiervon erwartungsgemäß nicht beeindrucken und ignorierte sämtliche eidesstattlichen Versicherungen vollständig, bis auf natürlich diejenige von Vosgerau persönlich, in der er einzelne Aussagen von Correctiv ihn betreffend angriff.
Dabei hatte er in zwei Punkten keinen Erfolg, in einem Punkt setzte er eine Unterlassungsverfügung durch (Beschl. v. 26.02.2024, Az. 324 O 61/24).
Punkt: keine Erinnerung an Ausbürgerungsidee
Zum einen wendete sich Vosgerau gegen die Wiedergabe seiner Stellungnahme gegenüber Correctiv im Artikel; konkret gegen die Formulierung "an die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich aber nicht erinnern können". Vosgerau beanstandete, von Correctiv nicht zu einer Ausbürgerungsidee gefragt und unvollständig wiedergegeben worden zu sein.
Da er laut Anfrage aber auch nach Remigration von deutschen Staatsbürgern gefragt wurde, kam das LG zu dem Schluss, dass sich die Frage an Vosgerau hinreichend mit der Darstellung in der Berichterstattung decke. Auch Vosgeraus Antwort sei zutreffend wiedergegeben worden. Es läge auch keine unvollständige Berichterstattung vor, weil der Beitrag die Aussage in Vosgeraus Stellungnahme, dass eine Ausbürgerung rechtlich nicht möglich sei, unerwähnt lässt. Die Weglassung würde kein unwahres Verständnis entstehen lassen, da sie im konkreten Kontext keine Auswirkung auf das Leseverständnis habe.
Punkt: Meinungsbildung junger Türkinnen
Weiter hatte Vosgerau in der Berichterstattung beanstandet, er habe nicht allgemein türkischen Frauen die Fähigkeit zur freien Meinungsbildung bei der Briefwahl abgesprochen, sondern nur die konkrete Möglichkeit der Ausübung der freien Wahlentscheidung in bestimmten Fällen, infrage gestellt; nämlich, wenn diese bei der Briefwahl von Familienmitgliedern unter Druck gesetzt würden. Laut dem LG Hamburg entsteht das von Vosgerau angegriffene Verständnis beim Durchschnittsleser allerdings nicht. Da der Leser die Aussage, wonach sich Wählerinnen keine unabhängige Meinung "bilden" können, als Zusammenfassung verstehe, beziehe der Leser die Aussage auf den gesamten Akt der Briefwahl und nicht – im streng juristischen Sinne – auf die einer Willensäußerung vorgelagerte innere Meinungsbildung.
Punkt: Massenhafte Wahlbeschwerden
Im dritten von Vosgerau angegriffenen Punkt war dieser hingegen erfolgreich. Im Correctiv-Text wurde behauptet, Vosgerau habe den Zuhörern den Vorschlag unterbreitet "man könne vor den kommenden Wahlen ein Musterschreiben entwickeln, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen". Und weiter: "Je mehr mitmachten, stimmt er zu, umso höher die Erfolgswahrscheinlichkeit."
Nach dem LG würde der durchschnittliche Leser dieser Aussage das Verständnis entnehmen, Vosgerau habe zumindest sinngemäß gesagt, die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs von Wahlprüfungsbeschwerden sei umso größer, je mehr Beschwerden eingelegt würden. Dies sei jedoch prozessual unwahr. Vosgerau nehme in Abrede, sich so geäußert zu haben und trage vielmehr vor, dass ein massenweises Vorgehen bei Wahlprüfungsbeschwerden gerade nicht sinnvoll sei, sondern es darum ginge, wie gut sie begründet seien.
Der unstreitige Umstand, dass Vosgerau darauf hingewiesen habe, es könnten Musterschreiben für Wahlbeschwerden entwickelt werden, besage nicht, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit bei massenhafter Einreichung von Wahlprüfungsbeschwerden steige. Daher verbot das Gericht Correctiv die Aussage.
Rechtstreit und PR-Modus werden fortgesetzt
Beide Parteien können nun Rechtsmittel im Hinblick auf die unterlegenen Punkte einlegen. Vosgeraus Rechtsanwalt Brennecke teilte LTO bereits mit, in sofortige Beschwerde zu gehen. Diese wird erneut an das LG gerichtet, hilft das – wie im Regelfall – der Beschwerde nicht ab, entscheidet anschließend das Hanseatische Oberlandesgericht.
Die Parteien gingen unterdessen wieder in den PR-Modus über. Anwalt Brennecke bezeichnete das Vorgehen gegenüber LTO als "vollen Erfolg": "Wir freuen uns, dass wir Correctiv dazu zwingen konnten, den Kernvorwurf von den angeblichen Ausweisungsplänen selbst zu revidieren und ihnen obendrein eine glatte Falschbehauptung verbieten zu lassen."
Der Anwalt von Correctiv, Thorsten Feldmann, erklärte hingegen gegenüber LTO, dass sich Correctiv durch die Entscheidung bestätigt sieht. "Es muss nur ein marginales Detail des Artikels geändert werden, der im Übrigen unbeanstandet bleibt. Wir werten dies als Erfolg vor einem Gericht, das in Pressesachen als besonders streng gilt." Ob Correctiv Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung einlegt, beantwortete das Recherchemedium zunächst nicht. Dann käme es zunächst zu einer Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg.
So oder so bleibt es dabei. Über die Kernvorwürfe des Correctiv-Berichts wird weiter nicht juristisch gestritten und geurteilt. Das Gerichtsverfahren wird in Bezug auf die allgemeine Diskussion um den Correctiv-Artikel gleichwohl Spielfläche für PR und Falschinterpretationen bestimmter Kreise und Medien bleiben.
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