Warum meint das GG die "deutsche" Staatsangehörigkeit, wenn es von der Staatsangehörigkeit spricht und nicht zB. eine "bundesdeutsche" oder eine der Länder?
I. Allgemein zur "deutschen" Staatsbürgerschaft iS des GG
Das Festhalten und Bekräftigen
einer deutschen Staatsangehörigkeit war einer der wesentlichen Faktoren des staatlichen Selbstverständnisses West-Deutschlands während der Teilung;
ein Dauerthema der deutsch-deutschen Beziehungen, denn die DDR sah (wie die Bundesrepublik und anders als Du) darin eine Einbeziehung des eigenen Staatsvolks. Immer wieder forderte sie die Bundesrepublik auf, die DDR-Staatsangehörigkeit zu respektieren, was die BRD nicht tat.
Beide deutsche Staaten gingen also sichtbar nicht von einer Länderstaatsangehörigkeit aus. (Nebensatz: Vielleicht ist die Forderungen nach einer "bundesdeutschen" Staatsangehörigkeit teilweise ein Echo der alten Forderung des DDR-Staatsrechts)
http://de.wikipedia.org/wiki/Geraer_ForderungenDie auch in Euren Kreisen zumindest ausschnittweise bekannte Entscheidung des BVerfG zum Grundlagenvertrag beleuchtet das Problem mehr als deutlich:
8. Art. 16 GG geht davon aus, daß die "deutsche Staatsangehörigkeit", die auch in Art. 116 Abs. 1 GG in Bezug genommen ist, zugleich die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland ist. Deutscher Staatsangehöriger im Sinne des Grundgesetzes ist also nicht nur der Bürger der Bundesrepublik Deutschland.
9. Ein Deutscher hat, wann immer er in den Schutzbereich der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gelangt, einen Anspruch auf den vollen Schutz der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland und alle Garantien der Grundrechte des Grundgesetzes.
BVerfGE 36, 1
Ein DDR-Bürger konnte in einer bundesdeutschen Botschaft Schutz suchen, weil er Deutscher iS des GG war.
Eine Länderstaatsangehörigkeit würde das nicht erklären können; die DDR hätte sicher gerne dieses Argument zur Verfügung gehabt - sie hatte es nicht, da es nicht existierte.
Das war einer der wesentlichen Faktoren, der die Wiedervereinigung ermöglichte.
Die DDR-Bürger mussten nach der Vereinigung nicht eingebürgert werden, denn sie waren bereits "Deutsche". Jeder DDR-Bürger, der es über die Mauer schaffte (oder, wie Mario, rausgekauft wurden) hatte einen
Anspruch auf bundesdeutsche Papier, denn er war "Deutscher" iS des GG.
Alles das wäre mit der Idee eine "Länderstaatsangehörigkeit" unvereinbar.
Die "deutsche" Staatsbürgerschaft, die auch Deutsche erfasst, die ausserhalb des Geltungsbereich des GG leben war einer der
Grundpfeiler der Bundesrepublik. "Deutschland als Ganzes" besass zw. 45 und 90 weder ein
Staatsgebiet noch eine
Staatsgewalt (beides zu erreichen war Verfassungsauftrag der BRD, die, man erinnere sich "kein neuer Staat" sein wollte) - umso wichtiger war für West-Deutschland das Festhalten an einem "deutschen
Staatsvolk".
Wäre eine Staatsbürgerschaft der Länder gemeint oder auch nur als gleichrangig oä. neben der "deutschen" möglich gewesen, hätte das einem ein ganz wesentlichen Verfassungsaufttrag widersprochen: Dem Wiedervereinigungsgebot.Die Bundesrepublik (bzw. das BVerfG) war in dieser Frage erstaunlich stur:
Für die Bundesrepublik Deutschland verliert ein Deutscher diese deutsche Staatsangehörigkeit nicht dadurch, daß sie ein anderer Staat aberkennt. Eine solche Aberkennung darf die Bundesrepublik Deutschland nicht rechtlich anerkennen; sie ist für sie ohne Wirkung.
Der Status des Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, der die in diesem Grundgesetz statuierte deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, darf durch keine Maßnahme, die der Bundesrepublik Deutschland zuzurechnen ist, gemindert oder verkürzt werden.
BVerfGE 36, 1 (102 f.)
So manchem Diplomaten und Deutschlandpolitiker machte es Kopfschmerzen, dass die Bundesrepublik ausdrücklich
nach wie vor befugt (ist), innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes, durch alle ihre diplomatischen Vertretungen und in allen internationalen Gremien, deren Mitglied sie ist, ihre Stimme zu erheben, ihren Einfluß geltend zu machen und einzutreten für die Interessen der deutschen Nation, zum Schutz der Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG und BVerfGE 36, 1 (31)BVerfGE 36, 1 (32)Hilfe zu leisten auch jedem Einzelnen von ihnen, der sich an eine Dienststelle der Bundesrepublik Deutschland wendet mit der Bitte um wirksame Unterstützung in der Verteidigung seiner Rechte, insbesondere seiner Grundrechte. Hier gibt es für die Bundesrepublik Deutschland auch künftig keinen rechtlichen Unterschied zwischen den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland und "den anderen Deutschen".
Eine konkurrierende, "schlummernde" und in ihrer Art selbstständige oder gleichrangige Länderstaatsangehörigkeit würde dem widersprechen. Wäre mithin ein Verfassungsverstoss.
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II. Auslegung des Art. 116 II GG
Grundsätzlich (Juristische Methodenlehre, Canones nach Savigny - gute deutsche Rechtstradition, älter als die Bundesrepublik) ist bei der Auslegung von Gesetzen nicht nur der wortwörtliche Inhalt (der dem subjektivem Verständnis unterworfen ist) zu berücksichtigen; er gilt in der Auslegung als das "
grammatikalische" Element (BVerfGE 6, 32).
Erforderlich, um den Sinn einer gesetzlichen Vorschrift zu erfassen und sie entsprechend auszulegen, ist daneben,
- die "
historische" Auslegung (BVerfGE 88, 40) in dieser Frage: Deutschland als Ganzes geteilt, Festhalten West-Deutschlands an der Idee "Gesamtdeutschlands" und "eines deutschen Staatsvolks", Wiedervereinigung als Verfassungsauftrag, Staatsangehörigkeit als Ausdruck und Mittel dessen - alles ablesbar an der vorhandenen
Rechtsprechung des BVerfG, das in Fragen der GG-Auslegung die Autorität und Deutungshoheit hat - nicht Du oder ich, ohne Dich da kränken zu wollen.
5. Verfolgte, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, haben dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren, soweit sie nicht zu erkennen geben, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen wollen.
6. Auch wenn die Verfolgten eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben, können sie durch die Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland oder durch einen Antrag nach Art. 116 Abs. 2 S. 1 GG die deutsche Staatsangehörigkeit wiedererlangen.
7. Für diejenigen, die eine fremde Staatsangehörigkeit nicht erworben haben, liegt die Bedeutung des Art. 116 Abs. 2 GG darin, daß der deutsche Staat sie - unbeschadet des Umstandes, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren haben - nicht als Deutsche betrachtet, solange sie nicht durch Wohnsitzbegründung oder Antragstellung sich auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit berufen.
BVerfGE 23, 98 ff.
Antrag... Siehe Wortlaut des Art. 116 II
- die "
systematische" Auslegung (BVerfGE 62, 1): Wo im Gesetz steht die in Frage stehende Vorschrift? In welchen
Kontext hat der Gesetzgeber die Vorschrift eingeordnet? Im Fall des Art. 116 II und die Frage, welche Staatsangehörigkeit gemeint sein könnte, muss also Art 116 I berücksichtigt werden - gemeint ist die "deutsche".
Würde mit "Staatsangehörigkeit" in 116 II eine andere gemeint sein als in 116 I
wäre diese zu konkretisieren gewesen. Schon die Anordnung der Vorschrift impliziert den Bezug.- die "
teleologische" Auslegung (BVerfGE 74, 51) - was ist der
Zweck der Vorschrift? Soll sie eine Länderstaatsangehörigkeit postulieren, erhalten, schaffen, bewahren, beschwören? Was sagt das BVerfG dazu?
An die Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland nach dem 8. Mai 1945 knüpft Art. 116 Abs. 2 Satz 2 GG die Vermutung, daß der Betroffene auch den Willen hat, deutscher Staatsangehöriger zu sein. Diese gesetzliche Vermutung ist nur widerlegt, wenn ein "entgegengesetzter Wille" des Betroffenen festgestellt werden kann.
(...)
Im Rahmen dieser Bestimmung erhebt sich nicht die Frage, ob der Betroffene ständig den Willen bekundet hat, als deutscher Staatsangehöriger behandelt zu werden; es ist vielmehr umgekehrt zu fragen, ob der Betroffene einen dem Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht hat.
BVerfGE 8, 81
Die Rechtsprechung ist da, wie man sieht, eindeutig und
sehr weitgehend.
Die Kommentarliteratur (die auch ein Verfassungsrechtler bei der Auslegung heranzieht) sieht in dem
Zweck von Art 116 II eine "
Wiedergutmachung national-sozialitischem Unrechts" (zB. Jarass Art 116 Rn. 11).
Wie aber kommen die denn darauf?
Sie zitieren einfach das BVerfG:
...der mit dem Art. 116 Abs. 2 Satz 2 GG verfolgte Zweck der Wiedergutmachung ...
BVerfGE 8, 81
Die Verfasser des Grundgesetzes gingen bei der Abfassung des Art 116 Abs 2 GG von der Überzeugung aus, daß der durch Akte des nationalsozialistischen Staates aus rassenideologischen Gründen angeordnete Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit krasses Unrecht darstellte.
(...)
Art 116 Abs 2 GG dient der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts
BVerfGE 53, 54ff.
In der Zusammenschau all dieser Faktoren kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, was der Verfassungsgeber mit "Staatsangehörigkeit" in Art. 116 II gemeint hat - und was nicht.
Deine Auffassung ist mit der Entscheidung des Verfassungsgebers und der eindeutigen und beständigen Auslegung durch das BVerfG unvereinbar.
Dies nur als Einstieg in die Problematik, die zu Zeiten der Teilung eines der komplizierteren Felder der Deutschlandpolitik darstellte und immer wieder zu Verwicklungen und Auseinandersetzungen zw. den beiden dt. Staaten führten, die (aus Sicht der BRD) "füreinander kein Ausland" waren.
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III. Zum Abschluss und allgemein:
Was hier angerissen wurde ist die Darlegung der
Rechtslage.
Du vertrittst eine andere
Rechtsauffassung.
Das ist Dein gutes Recht!
Es ist aber sinnvoll, vom praktischen aber auch theoretischen Standpunkt,
die Rechtslage auch für die eigene Rechtsauffassung zu berücksichtigen. Denn diese Fragen werden letztlich durch Gerichte abschliessend beantwortet (woran sich, im Falle des BVerfG, auch der Gesetzgeber zu halten hat, der in diesen Fragen durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung gebunden ist - einer der Kerngedanken des Verfassungswesen an sich).
Denn da Deine Rechtsauffassung des Art. 116 II der Auffassung des Verfassungsgebers und der Auslegung des BVerfG entgegen steht ist sie im Zweifel (also wenn sie gerichtlich zur Prüfung käme)
unmassgeblich.
Ein hartes Wort, ich weiss, aber es macht schon Sinn sich der unbeqeumen Wahrheit zu stellen:
GG-Artikel sind, wie jede andere Rechtsnorm auch, keine Gedichte, die man frei nach Laune für sich interpretieren kann und deren eigene Interpretation gleichrangig neben zahllosen anderen steht.
Es gibt eben nicht nur den (von Mensch zu Mensch unterschiedlichen) Wortsinn zu berücksichtigen sondern einiges andere auch - v.a. die in dieser Frage bestehende Rechtssprechung, die auch die Bundesregierung zu respektieren hat.
Insofern möchte ich Dir das Recht auf Deine Rechtsauffassung gar nicht absprechen!
Dies hier soll nur ein
wenig deutlich machen, warum diese Rechtsauffassung mit der geltenden Rechtslage, nach Willen des Verfassungsgebers und Auslegung durch das BVerfG, wenig bis nichts zu tun hat.
Es ist nicht mehr (und nicht weniger) als Deine Meinung bzw. das, was Du von anderen übernommen hast.
Ob diese "anderen" mit ihren Ideen grundgesetzkonform sind, ob sie vereinbar mit der Rechtsprechung sind usw. - das könntest Du vielleicht ua. mit Hilfe der hier genannten Fakten für Dich neu bewerten.
Wenn Du am Verständnis der Rechtslage interessiert sein solltest.
Das BVerfG von "Deiner" Auffassung zu überzeugen ist aussichtslos.
Mit dieser Auffassung hier irgendwas zu reissen, ist aussichtslos. Denn früher oder später prallt man eben auf einen der Millionen, die die paar entgegenstehenden Kleinigkeiten kennen, die hier erwähnt werden.
Das ist natürlich nur ein Anriss dieser komplexen Problematik.
Die Fachleute hier mögen mich verbessern oder ergänzen.
and now to something completly different, OT: Adenauers Haltung zur Wiedervereinigung wird von der Forschung längst nicht mehr als so eindeutig beschrieben, wie es auch hier zum Ausdruck kommt. Einflussreicher scheint mir mittlerweile die Auffassung, dass die Westbindung für ihn Vorrang hatte gegenüber der Einheit. Siehe dazu Foschepoth (sic!) "Adenauer und die Deutsche Frage" oder auch Winklers must-read "Der lange Weg nach Westen".
http://www.zeit.de/1988/41/wollte-adenauer-die-wiedervereinigung