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Wer sich die Vita von A. jedoch genauer anschaut, mag zweifeln, dass die Wortwahl nur im Affekt entstand: Bei seinem vorherigen Arbeitgeber, dem Sender Al-Jadeed TV, veröffentlichte er Beiträge, in denen die schiitische Miliz Hisbollah, ihr Führer Hassan Nasrallah und ihre Erfolge im Krieg 2006 gegen Israel recht positiv dargestellt wurden. A. verweist auf das schwierige Arbeitsumfeld in Libanon für Journalisten, das neutrale Berichterstattung schwer mache.
Wie kommen solche Mitarbeiter zur steuerfinanzierten Deutschen Welle?
Im Krieg 2006 wurde A. bei einer Recherche in Südlibanon bei einem israelischem Luftangriff verwundet, Follower feiern ihn unter einem anderen gelöschten Tweet, der sich wohl auf die Kämpfe damals bezog, als "Widerstandsjournalisten" und rücken ihn somit rhetorisch nah an die Hisbollah, bei der der Widerstand gegen den "zionistischen Feind" und den Imperialismus wichtiges Schlagwort ist. Als sich 2018 das Ende des Konflikts zwischen Hisbollah und Israel zum zwölften Mal jährte, schrieb A. von einem "Sieg über die barbarische Kriegsmaschine". Der Korrespondent behauptet nun, dass sich dies auf eine Auseinandersetzung mit der Terrormiliz IS bezogen habe - im selben Tweet verwies er jedoch auf den Abzug israelischer Truppen 2000 aus Libanon und den Konflikt 2006, für den der Hashtag "14. August" in Libanon eine Chiffre ist.
Wie gelangt so einer zur Deutsche Welle, einem vom deutschen Staat mit fast 400 Millionen Euro Steuergeldern finanzierten Sender, der auch deshalb von der Allgemeinheit bezahlt wird, weil er demokratische Werte in die Welt vermitteln soll? Die arbeitsrechtliche Antwort ist: ohne Ausschreibung; die sei "bei der Rekrutierung von lokalen Korrespondenten im Ausland weder erforderlich noch üblich", schreibt DW-Sprecher Christoph Jumpelt auf SZ-Anfrage. Inhaltlich bleibt jedoch die Frage: Haben die Verantwortlichen bei der Besetzung nicht so genau hin- oder gar aktiv weggeschaut? Ein Blick auf den Umgang mit weiteren problematischen Äußerungen von Mitgliedern der arabischen Redaktion der Deutschen Welle lässt das vermuten.
Wenn den Sender Beschwerden erreichten, wiegelte er ab
Dort verdrängt man manchmal offensichtlich lieber, als den Dingen auf den Grund zu gehen. Morhaf M. etwa, nach Angaben des DW-Sprechers Redakteur, prahlte im Juli 2017 in einem Facebook-Post, ein Gespräch in einem Café mit einer Dame abgebrochen zu haben, als er von ihrem jüdischen Glauben erfuhr. "Wir haben viel gegen euch", will M. der Frau gesagt haben, dass sie ihm nicht gleich ihre Religion offenbart habe, nannte er "hinterhältig". Drei Wochen später bezeichnete er unter einer Beileidsbekundung für einen verstorbenen deutschen Holocaustleugner den Massenmord an den Juden als "künstliches Produkt".
Auf den Ausfall im Café wurde der Sender von einem Leser hingewiesen, ebenso auf einen Post von Dezember 2019, als M. seinen Arbeitgeber als "nicht neutral, sondern geradezu hetzerisch" bezeichnete. M., der online als Assad-Anhänger auftritt, schrieb diese Zeilen als Antwort unter einen Post, in dem ein Kollege die Berichterstattung der Deutschen Welle, der BBC und des französischen Auslandssenders France 24 lobte. Redaktionsleiter Naser S. erklärte damals in einer internen Mail, ein "klärendes Gespräch" habe ergeben, dass M. nicht die DW gemeint habe. Ein klärendes Gespräch gab es laut Antwort des DW-Sprechers an einen Hinweisgeber auch bereits 2017 nach M.s Post zu dem Vorfall im Café.
Auf Anfrage nennt Sprecher Jumpelt beide Äußerungen nun als "aus dem Kontext genommen", dennoch hätten sie "arbeitsrechtliche Konsequenzen" gehabt. "Gemäß seiner Versicherung und unserer Kenntnis nach" beachtete M. auch in privaten Kommentaren in den sozialen Medien die Grundsätze, für welche die DW steht, so Jumpelt weiter. Wohl nicht immer: Im Januar 2018, also nach dem angeblich 2017 abgehaltenen Mitarbeitergespräch, raunte M. auf Facebook, dass der Kulturbereich von jüdischen Netzwerken kontrolliert werde. Nichtjuden hätten deshalb keine Chance, die Juden würden zudem "die Gehirne der Menschen durch Kunst, Medien und Musik" kontrollieren. Nur im Sport seien Juden nicht gut, da komme es auf "echte Leistung" an. Auf Anfragen der SZ antwortete M. nicht, sein Facebook-Konto ist mittlerweile deaktiviert. Die zitierten Aussagen und viele weitere von M. und seinen Kollegen konnte die Süddeutsche Zeitung jedoch per Screenshot sichern.
Ein Trainer der DW-Akademie twitterte: "Der Holocaust ist eine Lüge"
Solche Worte gehen weit über das hinaus, was beim WDR im September 2021 den Eklat um Nemi El-Hassan auslöste. Die 28 Jahre alte Journalistin sollte einen Job als Moderatorin der Wissenschaftssendung Quarks bekommen, bis Videos auftauchten, die sie Jahre zuvor in Berlin bei einer Al-Quds-Demonstration zeigten. Bei den Protesten wurden antisemitische Parolen gerufen, es kam zu Ausschreitungen. Der Sender ließ die Zusammenarbeit mit ihr zunächst ruhen, jeder ihrer Likes im Netz wurde nun untersucht.
Als auch solche für neuere Beiträge über einen Ausbruch palästinensischer Terroristen aus einem israelischen Gefängnis gefunden wurden, wuchsen bei vielen die Zweifel an El-Hassans Beteuerung, sich politisch und menschlich weiterentwickelt zu haben, der Sender und die Journalistin trennten sich schließlich. Bei der Deutschen Welle ist weit eindeutigeres Verhalten im Netz bislang nicht karriereschädlich. Ein Trainer der DW-Akademie, der in Beirut journalistische Workshops gibt, twitterte neben vielen anderen fragwürdigen Dingen: "Der Holocaust ist eine Lüge #FreedomOfSpeech". Und auf den Tweet einer bekannten libanesischen Sängerin während einer Eskalation in Gaza, dass es kein Israel gebe, sondern nur ein "IsraHELL", antwortet er: "All meinen Respekt". Die Ausbilder der mit einer Partnerorganisation betriebenen DW-Akademie durchliefen ein "mehrstufiges Assessment und dann eine mehrmonatige Ausbildung", schreibt der Sender auf Anfrage, seien "spezialisiert auf Themen rund um Qualitätsjournalismus". Die Akademie arbeite jedoch unabhängig von der Redaktion, so DW-Sprecher Jumpelt.
Die Kontakte von Da'oud I. - so der Name des Trainers - zur Redaktion sind jedoch eng. Wie die DW bestätigte, ist er der Bruder von Mohamed I., dem stellvertretenden Hauptabteilungsleiter von DW Arabia. In den Neunzigern arbeitete der für das Beiruter Blatt Al-Diyar, das der "Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei" nahestehen soll, bei der nicht nur der Name eine bewusste Referenz an die NSDAP ist, sondern auch das Logo, eine Art Hakenkreuz auf Speed. Nachdem Mohammed I. Libanon verließ und für die DW arbeitete, schrieb er aus Berlin für das als Hisbollah-nah geltende Blatt Al-Akhbar, laut DW-Sprecher Jumpelt war diese Nebentätigkeit genehmigt. Die Einordnung der politischen Ausrichtung beider Blätter wollte der Sender nicht kommentieren, Mohamed I. antwortet der SZ, das bei Al-Diyar Journalisten "aus allen politischen Strömungen des Landes" geschrieben hätten und Al-Akhbar auch linke Positionen vertrete. Sein Bruder Da'oud gab an, seine Tweets seien aus dem Kontext gerissen, er erkenne den Holocaust als Verbrechen gegen die Menschlichkeit an und habe bloß für Redefreiheit eintreten wollen.
Will man mit Mitarbeitern der Deutschen Welle über diese Dinge sprechen, trifft man zunächst auf große Angst vor Konsequenzen im eigenen Sender. Kollegen, die Missstände intern angesprochen haben oder in den vergangenen Jahren mit anderen Medien geredet hätten - die SZ zum Beispiel berichtete im Februar über Machtmissbrauch, Rassismus und Schikanen vor allem in der arabischen Redaktion der DW - seien als Querulanten gebrandmarkt und geschnitten worden, sagen sie. Intendant Peter Limbourg ließ zwar eine externe Untersuchung der Vorwürfe durch zwei Rundfunkräte durchführen - doch die seien nicht wirklich Unabhängige gewesen, sondern Prüfer, die mit dem System der Öffentlich-Rechtlichen eng verbunden sind, kritisieren Mitarbeiter.
Sichert man ihnen Anonymität zu, geht es in den Gesprächen schnell um Naser S., den Hauptabteilungsleiter der Arabischen Redaktion. Der sei selbst politisch und publizistisch eher unauffällig, schon deshalb, weil er aus dem Vertrieb stamme und keinen journalistischen Hintergrund habe. Dass er bewusst Journalisten mit antisemitischem Weltbild einstelle, das werfen die Kritiker S. nicht vor, auch seien die Beiträge der DW keinesfalls antisemitisch geprägt. An politisch fragwürdigen Mitarbeitern werde eher festgehalten, weil S. Loyalität über alles gehe. Deshalb sprechen manche gar von einer "Dynastie".
Während seiner Zeit als Vertriebsleiter der DW bekam etwa ein Cousin von S. den Posten des Repräsentanten in Jordanien, Irak und den Palästinensergebieten. Ausschreibungen "seien für die Beschäftigung von lokalen Distributionsagenten nicht erforderlich", kommentiert das Sprecher Jumpelt, entscheidende Kriterien seien die "Kenntnis des jeweiligen Medienmarktes, gute Vernetzung und das Verständnis für die journalistischen Werte der DW".
Unter den Mitarbeitern, die unter der Redaktionsleitung von S. zur DW Arabia stießen, ist Farah M. Obwohl sie wenig Deutschland-Bezug hatte, konnte sie 2016 ein langes Praktikum in Berlin antreten, im August 2017 bekam sie dann einen Rahmenvertrag als freie Mitarbeiterin. Inzwischen ist M. fest angestellt und im Team der Talksendung Massaiyya, wurde zuletzt als Anchorwoman gecastet. Mit problematischen Äußerungen ist sie bei DW nicht aufgefallen, im Gegenteil, sie setzt einen gemäßigten Ton in Bezug auf Israel. Das war mal anders: In Kolumnen, die M. für die Netzzeitung Rai Alyoum schrieb und die sie auf SZ-Anfrage heute als "nicht den westlichen Standards angemessen" bezeichnet.
Deutscher Auslandssender: Als der Konflikt in Gaza im Mai 2021 eskalierte, stellte die DW den Mitarbeitern einen "reporting guide from the editor-in-chief" zu.Detailansicht öffnen
Wenige Monate vor ihrem Praktikum, das ihr den DW-Einstieg ermöglichte, schrieb sie etwa: "Ich verkünde, wenn der Islamische Staat in Palästina für die Befreiung kämpfen würde, würde ich mein Urteil über ihn, seine Männer und seine Financiers revidieren. Und wenn er die Israelis aus dem Heiligen Land rausschmeißt, dann würde ich in seinen Reihen sein." In anderen Beiträgen für die Zeitung bringt sie in Zusammenhang mit Israel das Gleichnis eines "Krebs, der herausgeschnitten werden soll", möchte Hisbollah-Kämpfern, die drei israelische Soldaten getötet haben, "persönlich die Füße" küssen und sich "in Ehrerbietung und Bewunderung vor ihnen" verbeugen. Noch während ihres Praktikums in Berlin schreibt sie, "die Israelis mischen seit jeher Gift in die Geschichte".
Sie habe großes Glück gehabt, den Sprung aus dem jordanischen Mediensystem hin zur Deutschen Welle geschafft zu haben, schreibt M. nun der SZ, seither zeige ihre Arbeit, dass sie den journalistischen Richtlinien der DW folge und beruflich wie persönlich für diese Werte stehe. In den sozialen Medien lässt sich diese Wandlung nur indirekt nachvollziehen, die ersten abrufbaren Tweets stammen von Anfang 2018 - nach ihrem Start bei DW und sieben Jahre nachdem sie ihr Twitter-Konto eröffnete.
Ob sie Einträge getilgt hat, dazu wollte sich M. nicht äußern. Ihre Kollegin Maram S., die Ende 2019 als feste Freie zur DW kam und nun vor allem den Tiktok-Kanal bespielt, offenbarte im Mai auf Facebook, dass sie das gelegentlich tue. "Ich musste die Hälfte meiner Posts chiffrieren oder löschen, weil sie uns Probleme verursachen könnten", schrieb S., als der Konflikt um Gaza eskalierte und DW den Mitarbeitern einen "reporting guide from the editor-in-chief" zustellte. Kritik an Israel führe zu "Vorwürfen, Entlassungen und Abschiebungen", so S., Meinungs- und Redefreiheit in Europa seien eine Illusion. Mittlerweile sind diese Sätze nicht mehr zu lesen: Nach einer Anfrage der SZ am Montag wurden beide gelöscht - sorgfältiger, als der Beiruter Kollege Bassel A. das bei seinen Profilen machte.