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heodor Bolzenius gibt sich redlich Mühe, die Harmonie hervorzuheben. „Das war keine kontrovers diskutierte Sache. In der Grundüberzeugung waren sich alle sehr, sehr schnell einig. Am Ende war das einstimmig“, sagt der Sprecher des 3. Ökumenischen Kirchentags, der im Mai 2021 in Frankfurt stattfindet. Die „Sache“, die in den vergangenen Monaten angeblich nicht kontrovers diskutiert worden sein soll, ist die Entscheidung der Organisatoren zum Umgang mit der AfD.
Am Mittwoch war die Sache spruchreif. Per Pressemitteilung verkündete das Präsidium den Beschluss, Personen, die „für rassistische oder antisemitische Überzeugungen eintreten und/oder für Positionen werben, die von einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit oder von einer ideologischen Distanz zur freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung geprägt sind“, nicht als „aktiv Mitwirkende“ nach Frankfurt einzuladen. Zu solchen Personen zählten „unter anderem auch Mitglieder der Partei Alternative für Deutschland (AfD)“. Mitglieder anderer Parteien werden mit keinem Wort erwähnt.
So verschwurbelt die Mitteilung daherkommt, so kompliziert war der Prozess bis zu der Entscheidung. Vor Monaten schon waren die Organisatoren zum Umgang mit Auftritten von AfD-Politikern beim Ökumenischen Kirchentag gefragt worden. Mitte Mai noch sagte ein Vorstandsmitglied des Vereins, der das Großereignis mit 100000 Besuchern organisiert: „Zu dem Thema kann ich Ihnen aktuell keine Auskunft geben. Unsere Gremien beraten noch darüber.“
Etwa 1000 Demonstranten waren gegen die Auftritt
Eine Blaupause gab es nicht. Kirchentage sind bislang unterschiedlich mit der Frage umgegangen. In Dortmund, beim Evangelischen Kirchentag 2019, war es AfD-Mitgliedern nicht erlaubt, an Podien und Diskussionen teilzunehmen. Beim Katholikentag 2018 in Münster hingegen durfte Volker Münz, kirchenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, an einer Podiumsdiskussion teilnehmen. Etwa 1000 Demonstranten wandten sich damals gegen den Auftritt. Ein Ökumenischer Kirchentag musste die Frage nun zum ersten Mal beantworten: Beim jüngsten Großtreffen von Protestanten und Katholiken 2010 in München gab es die AfD noch nicht.
Für die beiden großen Kirchen ist der Umgang mit der Partei nicht einfach. Vielerorts probieren sie einen Spagat: einerseits klare Abgrenzung gegen AfD-Ansichten, die sie für nicht vereinbar mit dem christlichen Menschenbild halten, andererseits der Versuch, zumindest mit gemäßigten AfD-Mitgliedern im Gespräch zu bleiben. „Es gibt natürlich auch in der Kirche Sympathisanten der AfD“, sagt einer, der sich auskennt.
Das weiß auch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, die mit dem Bistum Limburg nächstes Jahr Gastgeberkirche ist. Ihre Haltung fasst ein Sprecher so zusammen: „Die Kirchenmitgliedschaft ist niemals an ein Parteibuch gebunden. Es kommt immer darauf an, wie sich die Menschen individuell äußern.“ Klar sei aber auch, dass sich Mitglieder etwa von CDU oder SPD seltener rassistisch oder antisemitisch einließen als AfD-Leute.
Teilnahme ja, Bühne nein
Pauschal ausschließen wollen auch die Organisatoren des Frankfurter Kirchentags die AfD-Mitglieder nicht. „Alle Menschen sind eingeladen, den ÖKT zu besuchen“, heißt es. Ein Pressereferent präzisiert: „Natürlich sind auch alle AfD-Mitglieder herzlich eingeladen, am Ökumenischen Kirchentag teilzunehmen“ – aber eben nicht auf Bühnen. Die Parteibücher einfacher Teilnehmer würden jedenfalls nicht kontrolliert.
Der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz findet die Entscheidung „absolut richtig“, wie er sagt. „Aus Gründen der Selbstachtung ist es notwendig, denen keine Bühne zu geben, solange sie keine klare Abgrenzung zu ihrem rechtsextremen Flügel vornehmen.“ Richtig sei aber auch, AfD-Leute nicht auszuladen. Der Stadtdekan, der mit 42 anderen im Kirchentagspräsidium sitzt, hofft darauf, „dass AfD-Leute in großer Zahl kommen, um ihren Horizont zu erweitern und ihre Vorurteile in Frage zu stellen“. Und sollten sich in nächster Zeit doch noch die gemäßigten Kräfte in der Partei durchsetzen und sich „von den Demokratiefeinden trennen“, müssten die Organisatoren über die Entscheidung noch einmal nachdenken.
Längst nicht alle sehen die Sache positiv. Als er die Mitteilung gesehen habe, habe er gedacht: „Habt ihr sonst kein Thema?“, berichtet einer aus dem inneren Kirchenkreis. Er sei wütend über das schlechte Timing. „Es gibt noch keine Inhalte, und die erste inhaltliche Mitteilung ist der Quasi-Ausschluss der AfD.“ Damit werde viel zu früh ein politischer Akzent gesetzt, der den Kirchentag in Dortmund dominiert habe. Er vermute, dass die Kirchenbasis Druck gemacht habe, sich derart früh festzulegen. „Aber das gibt der AfD über das Kirchentagsthema wieder eine Spielwiese.“ Ein Präsidiumsmitglied nennt den Zeitpunkt der Veröffentlichung „äußerst unglücklich“. Außerdem hätte der Kirchentag der AfD auf den Bühnen „lieber offensiv die Stirn bieten“ sollen.
Die, um die es geht, äußern sich auf Nachfrage. Der hessische AfD-Landessprecher Klaus Herrmann sagt: „Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die der AfD vom Präsidium des Kirchentages vorgeworfen wird, wird nun von demselben Präsidium selbst angewandt – und zwar auf alle Vertreter der AfD.“ Eine demokratisch legitimierte Partei auszuschließen, die bundesweit Millionen von Wählern vertrete, sei „nichts anderes als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“.
Den innerkirchlichen Spagat kann der Ökumenische Kirchentag im Mai 2021 aufarbeiten. Und er will das auch tun. Das Präsidium lässt wissen: „Die Auseinandersetzung mit rechtsextremen, antisemitischen und demokratiefeindlichen Positionen ist wichtiger Bestandteil des 3. ÖKT.“