Bei der ZEIT ist man offenbar über Pegida wohl nicht so orientiert und hat daher bei einem Kollegen nachgefragt:
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ZEIT ONLINE: Warum – ist das nicht ein Haufen Nazis?
Schneider: Manche bezeichnen Pegida pauschal als Nazi-Bewegung, doch dafür ist die Menge zu diffus. Es sind Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten darunter, das stimmt, aber das ist nicht alles. Man sieht oft dieselben Gesichter. Andere gehen zum Kegeln, diese Leute gehen eben zu Pegida. Für viele ist das wie ein Verein. Dort gibt es Wohlfühlwärme, man wird in seiner Meinung bestärkt. Man sieht einige jüngere Leute, die jedoch selten mit Journalistinnen und Journalisten reden. Man sieht ein paar Paradiesvögel. Einer kommt immer in Cowboy-Montur. Ein anderer trägt immer ein beleuchtetes Kreuz durch die Gegend. Und ich sehe viele gut situierte Leute, 60 plus, Rentner, die früher ordentliche Jobs hatten, heute in ihren Häuschen wohnen. Viele erzählen mir, dass sie mit den Zuständen im Land nicht klarkommen und dass sie die Politik dafür verantwortlich machen.
ZEIT ONLINE: Warum besteht Pegida bis heute fort?
Schneider: Im Januar 2015, als sich die damalige Pegida-Führung zerstritten hatte, glaubten viele: Das war's jetzt. Es war tatsächlich kurz Ruhe, aber dann ging es wieder los mit den Märschen. So vergingen die Jahre. Immer begleitet vom Warten: Es muss doch irgendwann vorbei sein.
Anfangs hatte Pegida 19 Thesen mit Forderungen veröffentlicht, es ging dabei unter anderem um eine Verschärfung der Asylpolitik. Vieles davon ist längst in den politischen Alltag eingeflossen, auch durch die AfD. Neue Forderungen kommen von Pegida schon lange nicht mehr. Die Bewegung hat eigentlich keinen Zweck mehr. Der frühere Dresdner Polizeichef, inzwischen Landespolizeipräsident, formulierte es mal so: Er glaubt, dass das irgendwann mal rein kalendarisch zu Ende gehen wird.
ZEIT ONLINE: Wie meinte er das?
Schneider: Die Leute gehen zu Pegida, solange sie können. Und wenn sie nicht mehr können, wird es Pegida nicht mehr geben. Das könnte stimmen. Wie sich Pegida finanziert, ist für uns Journalisten immer noch ein Rätsel. Es stehen bei den Kundgebungen Spendentonnen herum, da wird auch Geld eingeworfen, aber das kann nicht alles sein. Lutz Bachmann, der seit Mitte 2016 auf Teneriffa lebt und für die Kundgebungen nach Dresden fliegt, hat mal in einem seiner Gerichtsprozesse behauptet, er bekäme Spenden von Menschen, die Interesse an seiner politischen Arbeit hätten.
ZEIT ONLINE: Es gab eine Phase, in der die AfD und Pegida sich offensiv miteinander vernetzten, man warb füreinander. Wem hat das mehr genutzt?
Schneider: Als die AfD und Pegida anfingen zu kooperieren, hat das zunächst beiden Seiten zur Mobilisierung genutzt. Der AfD, die damals noch viel kleiner war, vermutlich ein bisschen mehr, denn deren Politiker hatten auf der Pegida-Bühne die Möglichkeit, sich bekannt zu machen. Aber Pegida hatte insgesamt einen immensen Einfluss, denn die Bewegung hat ein Tor geöffnet. Der Ton war von Anfang an hart, roh, abfällig. Es gab Sprechchöre wie "Wer Deutschland nicht liebt, muss Deutschland verlassen", die man bis dahin nur von Rechtsextremisten hörte. Durch Pegida ist der Diskurs nach rechts gerückt. Plötzlich haben Menschen auf der Straße menschenverachtende Dinge gesagt. Durch die AfD sieht man inzwischen bundesweit, dass heute anders gesprochen wird als vor fünf Jahren.
ZEIT ONLINE: Warum begleiten Sie weiterhin die Pegida-Kundgebungen für die Sächsische Zeitung?
Schneider: Für uns ist es eine Chronistenpflicht. Früher sind viele Kolleginnen und Kollegen hingegangen, aber das hat nachgelassen. Ich bin übriggeblieben und ein Kollege, der mich seit zwei Jahren begleitet. Meist sind wir die einzigen Journalisten. Manchmal kommen Journalistinnen und Journalisten von auswärts, um sich das auch mal anzuschauen, aus New York, Asien und sonst woher. Pegida ist eine radikale Bewegung, da passieren Straftaten. Das muss man im Auge behalten. Ich bin Polizei- und Gerichtsreporter und habe bei Pegida von Anfang an bekannte Gesichter gesehen. Leute, die in Hooligan-Prozessen und rechtsextremen Netzwerken auftauchten. Da zeigen sich Verbindungen. In der ersten Zeit haben wir über Pegida groß in der Zeitung berichtet, aber das wurde natürlich immer weniger. Inzwischen vermelden wir nur noch, wenn zum Beispiel etwas Polizeirelevantes passiert. Es gab aber auch Zeiten, als Pegida noch größer war, wir intensiver berichtet haben, da haben uns auch Leser angerufen und wütend beschimpft, weil sie nichts mehr über Pegida in der Zeitung lesen wollen. Da habe ich ebenfalls gestaunt, dass einige so eine Bewegung mitten in ihrer Stadt lieber ignorieren würden.
ZEIT ONLINE: Gibt es auch einen persönlichen Antrieb für Sie Pegida zu beobachten?
Schneider: Man sieht, wie sich dort Verhaltensweisen ändern. Dinge ins Kippen kommen, die unser Land eigentlich zusammenhalten. Ich stamme aus Bayern, lebe aber schon seit 27 Jahren im Osten. Sicher, in Westdeutschland lief früher auch nicht alles toll. Aber ich finde, unser Land hat sich doch super entwickelt. Als dann noch die Einheit dazukam, das war ein Highlight für mich. Und jetzt sehe ich, wie es hier die Sehnsucht nach weniger Pluralismus, nach Führerfiguren, nach völkischer Politik gibt. Das macht mich fassungslos.
ZEIT ONLINE: Die Pegida-Führung betont, dass man friedlich sein will, doch es kommt immer wieder zu Straftaten, vom Gerangel bis zu Hitlergrüßen. Wie ist das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit bei Pegida?
Schneider: Gewalt war immer dabei. Von Seiten einiger Pegidisten und einiger Gegendemonstranten kamen anfangs schon mal Steine oder Böller geflogen. Seit Chemnitz hat etwa die Zahl von Hitlergrüßen gefühlt zugenommen. Das könnte aber auch daran liegen, dass die Polizei seitdem genauer hinschaut. Die Polizei würde sagen, dass es insgesamt eher friedliche Demonstrationen sind. Wenn man die große Anzahl der Kundgebungen mit der Anzahl der Strafbestände verrechnet, stimmt das auch. Beim Dresdner Stadtfest passiert jedenfalls mehr. Man muss aber auch sagen: Beim Stadtfest werden keine Journalistinnen ud Journalisten angegriffen. Bei Pegida passiert das schon mal.
"Ich bin dünnhäutiger geworden"
ZEIT ONLINE: Ergreifen Sie Vorsichtsmaßnahmen?
Schneider: Auf meinem Presseausweis, den ich ab und zu vorzeigen muss, steht nicht meine private Adresse, nur meine dienstliche. Wir gehen auch deshalb zu zweit hin, um einen Zeugen zu haben, falls etwas passiert. Bei jeder Demo gehe ich beim Einsatzleiter vorbei, damit der mich mal gesehen hat. In den ersten Jahren habe ich immer das Gleiche angezogen, eine Jeansjacke, eine rote Hose, eine Kappe. Das war für mich eine Art Uniform, damit mich die Leute wiedererkennen und irgendwann wissen, dass ich der Journalist bin. Ich will mich absichern, aber nicht abschotten. Ich bin da ja auch hingegangen, um mit Menschen zu reden. Ich wollte Pegida nicht niederschreiben, sondern erfahren, was da los ist. Diskussionen, die sonst oft virtuell stattfinden, live führen. Man kann mich dort auch mit Vorwürfen als Journalist konfrontieren. Ich kann nichts dazu sagen, was das ZDF irgendwann über die Ukraine-Krise berichtet hat, aber ich kann zu meinen eigenen Berichten Stellung nehmen. Es ist mir auch ein Anliegen, als Journalist zu zeigen, wie wir unsere Arbeit machen. Als bei Pegida anfangs Zehntausende auf die Straße gingen, mussten wir doch damit rechnen, dass auch ein Großteil unserer Leser dabei war. Also auch meine Leser. Die will ich doch verstehen.
ZEIT ONLINE: Haben Sie diesen Anspruch immer noch?
Schneider: In meiner Anfangszeit als Gerichtsreporter habe ich mich oft gefragt, warum Leute so blöd sein konnten, dieses oder jenes zu machen. Aber das darf man nicht fragen. Man kann menschliches Verhalten in bestimmten Situationen nicht hundertprozentig erklären. So ist es auch bei Pegida. Ich habe dort im Laufe der Jahre viele interessante Gespräche geführt. Ich kann auch nachvollziehen, dass Menschen sich über die Politik ärgern, das geht mir bei einigen Sachen auch nicht anders. Aber beim harten Kern von Pegida bringen Gespräche nicht mehr viel. Pegida hat inzwischen sektenhafte Züge, etwas Massensuggestives. Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich vieles nicht verstehen werde. Als Westdeutscher doppelt nicht. Pegida ist in Dresden groß geworden und geblieben. In anderen Städten, vor allem im Westen, wäre das nicht vorstellbar gewesen. Ich lese viel zur Aufarbeitung der Wende, über Biografien, die hier nun mal oft völlig anders verlaufen sind als im Westen. Aber manches bleibt mir eben verschlossen, ich weiß nicht, wie sich das Leben in einer Diktatur angefühlt hat. Bei Pegida und der AfD wird ja oft beklagt, dass man heute vieles nicht mehr sagen dürfe. Für mich ist das unlogisch: Heute kann doch alles gesagt werden. Pegida ist doch genau dafür ein Beispiel.
ZEIT ONLINE: Verändert man sich, wenn man als Journalist fünf Jahre lang intensiv diese Szene beobachtet?
Schneider: Wenn ich gewusst hätte, dass daraus so viele Jahre werden, ich so viele gottverdammte Montagabende zu Pegida gehe, hätte ich damit wahrscheinlich nicht angefangen. Es ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Ich bin dünnhäutiger geworden. Ich habe auch schon zu meinem Kollegen gesagt: Ich ertrage das nicht, wenn heute schon wieder die ewig gleichen Schimpftiraden kommen. Die Reden von Lutz Bachmann könnte ich inzwischen wahrscheinlich selbst halten, weil sich seine Textbausteine so sehr ähneln.
ZEIT ONLINE: Genauso lange wie Pegida gibt es Gegenprotest. Wie erleben Sie den?
Schneider: Bis auf wenige kurze Pausen gibt es seit Ende 2014 immer Gegenprotest. Das ist schon bemerkenswert. Oft sind es nur 100 Leute, bei Anlässen wie Wahlen auch mal 200, 300 Leuten. Ich kriege zwar keinen Cent mehr, wenn ich zu Pegida gehe, aber ich mache meine Arbeit. Auch freiwillig, man muss mich nicht dazu zwingen. Aber diese Leute, die kriegen gar nichts. Die machen das aus reinem Engagement und Empathie. Viele geben sich richtig Mühe, schreiben Texte, veranstalten Lesungen. Aber das interessiert in dieser Stadt kaum jemanden. Die meisten Leute hetzten vorbei, wollen sich damit nicht auseinandersetzen. Manche rümpfen die Nase, auch über die Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten. Aber man kann wenigstens sagen, Pegida wird montags auch widersprochen.
ZEIT ONLINE: Wie beobachten Sie das von Miteinander von Polizisten und Demonstranten bei den Pegida-Treffen?
Schneider: Das hat sich eingespielt. Es ist meist der gleiche Einsatzzug der Polizei, der die Demonstrationen begleitet. Es läuft eine gewisse Routine ab. Ich kenne die Kritik, dass es auch bei Polizisten Sympathien für Pegida und die AfD gäbe. Ich bin da hin und her gerissen. Es ist doch wie im richtigen Leben. Klar gibt es unter Polizistinnen und Polizisten auch Beifall für rechte Positionen und sicher auch Erklärungen dafür, warum es in diesem Beruf vielleicht sogar häufiger der Fall sein könnte. Aber ich erlebe auch viele andere Polizisten, die professionell sind in ihrem Job und tiefe Einblicke in die Szene haben.
ZEIT ONLINE: Wie lange wird es Pegida Ihrer Meinung nach noch geben?
Schneider: Wenn das so einfach zu beantworten wäre. Vielleicht länger als wir glauben. Wenn die AfD bei der Landtagswahl ein hohes Ergebnis erzielt, könnte das auch Pegida wieder Auftrieb geben. Oder es ist aus irgendeinem Grund von einem Tag auf den anderen doch endlich Schluss damit. Mal sehen, wie lange ich es noch schaffe, montags dahin zu gehen.