Von Maria Fiedler und Ulrich Wolf
Berlin im Juni 2017: Mehrere Hundert Personen ziehen vom Bahnhof Gesundbrunnen aus in Richtung Stadtzentrum. Sie tragen einheitlich gelb-schwarze Fahnen. Vom Lautsprecherwagen aus stachelt ein gewisser Martin Sellner die Menge an, neben ihm in weißem T-Shirt steht Pegida-Gründer Lutz Bachmann. Der mimt den Diskjockey. So zeigen es Fotos und Videos der Demo im Internet.
Sellner, 30, ist die Galionsfigur der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Identitären Bewegung (IB) im deutschsprachigen Raum – und hat nun ein ziemliches Problem: Der mutmaßliche Todesschütze von Christchurch, ein 28-jähriger Rechtsextremist aus Australien, hat der IB in Österreich nach Erkenntnissen der Behörden Anfang vorigen Jahres 1 500 Euro gespendet. Deshalb durchsuchten Polizeibeamte die Wohnung Sellners. Es bestehe der Verdacht der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, teilte die zuständige Staatsanwaltschaft Graz mit.
Was den Duz-Freund Bachmanns noch mehr treffen könnte: Die Regierung in Wien prüft inzwischen sogar die Auflösung der IB. Kanzler Sebastian Kurz sagte am Mittwoch, es gebe „keine Toleranz für gefährliche Ideologien, ganz gleich, aus welcher Ecke sie kommen“.
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Die Spende des mutmaßlichen Attentäters von Christchurch an die rechte Organisation hat die Regierung alarmiert. Der Chef der Identitären reagiert gelassen.
Sellner selbst betont, außer der Spende gebe es keine Verbindungen zu dem Attentäter von Neuseeland. „Ich habe alle Identitären gefragt und niemand hat sein Gesicht gesehen“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Zudem beteuert der gebürtige Wiener in einem Video, das im Wohnzimmer seiner Eltern entstand, er habe mit dem Anschlag nichts zu tun und werde die 1 500 Euro einer karitativen Einrichtung geben.
Enge Verbindungen mit Pegida
Er glaubt, der Attentäter habe ihn „in diese Sache hineinziehen“ wollen. Dem Mörder sei es darum gegangen, „massive Repressionen gegen Patrioten“ auszulösen, damit diese sich radikalisierten und „zu Terroristen werden“. Er habe den Fall mit seinem Anwalt besprechen wollen. Kurz darauf hätten aber schon Polizeibeamte vor seiner Tür gestanden, hätten sein Handy, seinen Computer und seine Bankkarten beschlagnahmt, ebenso die Geräte seiner Verlobten. Er sehe der Prüfung durch die Behörden aber gelassen entgegen.
Nach Medienberichten war der Neuseeland-Attentäter im November 2018 durch Österreich gereist, möglicherweise auf den Spuren berühmter Schlachten. Auf einer seiner Waffen war der Name des Kommandanten Ernst Rüdiger von Starhemberg zu lesen, der die Stadt Wien während der zweiten Türkenbelagerung 1683 erfolgreich verteidigt hatte. Bei einem Treffen der „Identitären“ zu dieser Zeit sei er jedoch nicht aufgetaucht, behauptet Sellner.
Seine IB wird auch in Sachsen vom Verfassungsschutz beobachtet. Im 2017er-Bericht der Behörde heißt es, die Bewegung richte sich vehement gegen das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft. Sie propagiere einen europäischen „Ethnopluralismus“. Ideologisch vermenge sie Islam- und Fremdenfeindlichkeit, völkischen Nationalismus und systemkritischem Antiliberalismus. Die Verfassungsschützer rechneten der IB 2017 in Sachsen rund 40 Personen zu. Ortsgruppen gebe es in Leipzig, Zwickau, Dresden, Bautzen und im Erzgebirgskreis.
Pegida-Chef Lutz Bachmann ist mit Sellner auf Du. © Paul Sander
Die IB ist eng verflochten mit Pegida. Ihre Fahnen mit dem Lambda-Zeichen der Spartaner tauchten bereits Ende November 2014 bei Pegida-Demonstrationen auf. Im Januar 2015 drangen ihre Anhänger in den sächsischen Landtag ein. Im Februar 2016 sprach Sellner erstmals in Dresden auf der Bühne. Wieder ein Jahr später arbeitete sich der Österreicher auf der Pegida-Bühne an der Belagerung Wiens durch die Türken ab und rief, heutzutage stellten die Türken das Humankapital dar, „um das Volk zu ersetzen“. Seine Rede wurde damals übertönt von der Musik der Punkrock-Gruppe Tote Hosen, die überraschend in Dresden aufgetaucht waren.
Als Ausgangsbasis für IB-Aktionen im Raum Dresden gilt ein Burschenschaftshaus im Stadtteil Plauen. Das geht aus einem von Sellner selbst hochgeladenen Video im Internet hervor. Auch vor Gericht stehen Pegida und IB zusammen. Gemeinsam obsiegten sie gegen die Dresdner Flüchtlingsretter der Mission Lifeline vor dem Oberlandesgericht. Seitdem muss die Hilfsorganisation damit leben, als „Schlepper“ bezeichnet zu werden.
Bachmann gibt zuweilen auch Sellners Ersatzmann. So wollte er im März 2018 in London eine Rede des Österreichers halten, weil dieser verhindert war. Doch wie zuvor Sellner durfte auch der Pegida-Chef nicht einreisen. Und als Sellner in Österreich auf der Anklagebank saß, trug Bachmann bei einer Pegida-Demonstration in Dresden dessen Grußworte vor. Im August vorigen Jahres trafen sich rund 600 Identitäre auf der Cockerwiese in Dresden unter dem Motto „Europa Nostra – Identität und Heimat bewahren“. Dort war Sellner ebenso anwesend wie bei dem von AfD und Pegida gemeinsam veranstalteten Trauermarsch in Chemnitz nach dem gewaltsamen Tod von Daniel H.
In der Lausitz wiederum tauchen seit Monaten in Städten wie Bautzen, Löbau, Kamenz und Görlitz in Nacht- und Nebelaktionen aufgestellte Holzkreuze mit den Namen von Menschen auf, die Opfer von Gewaltverbrechen durch Ausländer wurden. Auch dahinter wird die IB vermutet, die Polizei aber hat den oder die Täter immer noch nicht überführt. (SZ mit dpa)