Der Kommentator des StGB, Prof. Dr. Thomas Fischer, beschäftigt sich diesmal in seiner Kolumne mit der Einstellungsverfügung der StA Chemnitz wegen des Galgens.
Der Verfasser des Kommentarwerks, das auch in der StA Chemnitz zu Rate gezogen wird, hat da einen klaren Standpunkt:
Spoiler
Pegida
Galgenvögel!
Der "Pegida-Galgen" für Merkel und Gabriel erlebt derzeit ein makabres Revival. Die sächsische Justiz hat offenbar der Mut verlassen. Eine rechtliche Bewertung
Von Thomas Fischer
9. Dezember 2017, 20:45 Uhr
Die Staatsanwaltschaft Chemnitz wird derzeit sehr kritisiert, teilweise aber auch gelobt, weil sie das Ermittlungsverfahren 250 Js 28707/17 eingestellt hat. Es richtete sich gegen den Vorsitzenden des Vereins Heimattreue Niederdorf, weil dieser in Räumen seines Vereins ein Modell des bekannten Pegida-Galgens aufgestellt hatte, welches vom Hersteller Jens Döbel aus Schwarzenberg vertrieben wird. Einzelheiten des Sachverhalts sind nicht völlig klar; auch über den Inhalt der Einstellungsverfügung (Paragraf 170 Abs. 2 Strafprozessordnung) wird mit Erbitterung mal so, mal so berichtet. Er ist (bisher) nicht veröffentlicht, wurde aber, so wird berichtet, von der Staatsanwaltschaft inzwischen (6. Dezember) wiederum ihrerseits interpretiert oder ausgelegt.
Aufregungen
Das hinderte die Huffington Post nicht, fantasievoll zu berichten, "die Sache" (Galgen für Merkel und Gabriel) sei "erneut vor Gericht" gegangen. Der Deutschlandfunk schob dem am 8. Dezember gleich eine ganze Schlagzeile nach: "(Charlotte) Knobloch kritisiert Gerichtsentscheidung zu Pegida-Galgen." Dabei ist die Sach- und Rechtslage insoweit ziemlich übersichtlich: Eine Staatsanwaltschaft ist kein Gericht, wie man schon am Namen erkennen kann. Eine Staatsanwaltschaft ist im Übrigen eine hierarchisch organisierte staatliche Behörde, der von vorgesetzten Behörden (Generalstaatsanwaltschaft; Ministerium) Weisungen erteilt werden können. Das steht in Paragraf 146 Gerichtsverfassungsgesetz. Ministerien tun gerne so, als ob sie niemals solche Weisungen erteilten, was aber gelogen ist: Sie heißen bloß nicht "Weisung", sondern "Bitte um sorgfältige Prüfung". Das klingt besser. Außer bei sehr unerfahrenen Berufspolitikern wird sich auch nie eine grün geschriebene Spur solch dringender ministerieller Bitten in der Akte (genannt: "Vorgang") finden; dafür sind Referatsleiter zuständig, auf welche die Ratschlüsse herabfallen wie der Regen auf den Wurm.
Man muss also dem sogenannten designierten sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer ein bisschen widersprechen, der die Sache als "nicht nur geschmacklos", sondern als "Grenzüberschreitung" kritisierte, dann aber auf die "Unabhängigkeit der Justiz" hinwies. Denn es ist leider nicht recht klar geworden, welche "Grenze" Herr Kretschmer meint: Wenn es nicht mehr um den guten Geschmack geht, kann eigentlich nur die Grenze strafrechtlicher Tatbestände gemeint sein.
Der zuständige Justizminister Sebastian Gemkow mochte dem MDR zwar "keine Bewertung" mitteilen, aber doch seine Sorge um die allgemeine Höflichkeit zum Abdruck freigeben: "Es gibt Grenzen des Anstands, die darf man nicht überschreiten." Das ist aber für uns im Ergebnis eher gleichgültig, weil der "Anstand" bekanntlich eine windelweiche Grenzlinie des Rechtsstaats ist. Und der Hinweis des Ministers, er gebe keine Bewertung ab, da es sich um eine "Entscheidung der Staatsanwaltschaft vor Ort" handle, ist auch nicht erhellend: Als habe der Justizminister eines Landes mit den Entscheidungen seiner Staatsanwaltschaften nichts zu tun.
Im Übrigen meldete sich ein Chemnitzer Bundestagsabgeordneter mit der Einschätzung "Skandal" zu Wort; und die Bundestagsabgeordnete Renate Künast regte an, der Generalstaatsanwalt in Dresden möge die "abgrundtief naive" Entscheidung der Staatsanwaltschaft Chemnitz "prüfen" (meint: die Sache an sich ziehen und anders entscheiden oder die StA anweisen).
In den Medien wird unterdessen darüber gestritten, wer wann was berichtet hat, berichten durfte, erfunden oder verfälscht hat. Insbesondere die Ausgangsmeldung der Süddeutschen Zeitung, die Staatsanwaltschaft habe die Ermittlungen eingestellt, weil die Galgendarstellung durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Grundgesetz geschützt sei, erwies sich als zweifelhaft, und in der beck-community musste sich der SZ-Autor Ronen Steinke ziemlich heftige Vorwürfe vom Rechtsanwalt und Medienrechtler Marc Liesching anhören, die wiederum von anderen als Enthüllung eines "Medienskandals" schlimmster Sorte gefeiert wurden. Man könnte also denken: alles wie immer.
Rechtsfragen
Trotzdem ein paar Erwägungen zur Sache: Zu prüfen waren zunächst zwei Tatbestände des Strafgesetzbuchs, die den meisten Bürgern nicht geläufig sind: Paragraf 111 (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten), Paragraf 140 (Belohnung und Billigung von Straftaten). Über ein paar andere konnte man mal kurz nachdenken (Beleidigung; versuchte Anstiftung zu Verbrechen); weitere im Netz diskutierte waren eher fernliegend (Volksverhetzung; Verunglimpfung von Verfassungsorganen und so weiter).
Paragraf 140 Nr. 2, die Billigung von Straftaten, setzt voraus, dass der Täter eine schwere Straftat (etwa eine Tötung), "nachdem sie begangen oder in strafbarer Weise versucht worden ist", öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften billigt. Es ist offenkundig, dass diese Voraussetzungen hier nicht erfüllt waren, denn es wurde keine Straftat begangen oder versucht.
Interessanter ist da schon Paragraf 111 Strafgesetzbuch:
Abs. 1: Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter (§ 26) bestraft.
Abs. 2 Satz 1: Bleibt die Aufforderung ohne Erfolg, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. (…)
Tathandlung ist also das "Auffordern"; es muss sich auf eine (irgendeine) rechtswidrige Tat beziehen. Ob das der Fall ist, kann dahinstehen, wenn die Aufforderung schon nicht in der Form geschieht, die Absatz 1 voraussetzt: öffentlich, Versammlung, durch Schriften (das können auch Bilder oder Daten sein). Soweit man weiß, hatte der Beschuldigte (Vereinsvorsitzende) ein Exemplar aufgestellt; der Presse hat er mitgeteilt, der Vertrieb sei "über den Hersteller" gelaufen. Das deutet darauf hin, dass der Beschuldigte dem Vertrieb nicht völlig neutral – also nur als zufälliger Kunde – gegenüberstand, sondern die Figur zum Zweck der Werbung aufgestellt haben könnte. Eine "Schrift" im Sinn der Vorschrift lag natürlich nicht vor; auch eine "Versammlung" war nicht gegeben. Und "Öffentlichkeit" setzt voraus, dass der Ort des Geschehens für eine grundsätzlich unüberschaubare Mehrheit von Personen zugänglich ist. Der Vereinsraum des Heimattreue Niederndorf e. V. dürfte diese Voraussetzung nicht erfüllen.
Ende der Prüfung? Noch nicht ganz. Denn da gibt's ja noch den fleißigen Werkzeugmacher aus Schwarzenberg, der die Galgen "in liebevoller Handarbeit" herstellt und in seinem Onlineshop öffentlich (durch Schriften) anbietet ("Der Döbel-Galgen – Das Original vom Original", 18,95 Euro). Bei ihm sind die Formvoraussetzungen des Paragrafen 111 also gewiss gegeben, sodass es auf den Inhalt der Äußerung ankommt. Und wenn der Tatbestand bei dem erfüllt wäre, könnte der beschuldigte Vereinsvorsitzende hierzu – unter Umständen – Beihilfe geleistet haben. Bei der Anwendung der Beihilfe-Norm Paragraf 27 Strafgesetzbuch ist die Strafjustiz sehr großzügig, vor allem was die sogenannte psychische Beihilfe betrifft: Da reicht es oft schon, wenn jemand bei der Tat eines anderen nur dabeisteht und dem Täter "ein Gefühl der Sicherheit vermittelt" oder eine Anmutung der Zustimmung ausströmt. Beihilfe ist beispielsweise auch die Zusage, Produkte zukünftiger Straftaten abzunehmen, zu vermitteln, anzukaufen und dergleichen. Da gibt es also ziemlich viel zuzurechnen, wenn der Tag lang und der Wille des Strafverfolgers da ist.
Die Kunst, die Kunst!
Ist also der Pegida-Galgen eine Aufforderung zu einer rechtswidrigen Tat? Die Staatsanwaltschaft hat ihre Einstellung – neben dem Umstand der nichtöffentlichen Präsentation (siehe oben) – auf die Ansicht gestützt, man habe nicht nachweisen können, dass tatsächlich jemand zur Tötung von Angela Merkel und Sigmar Gabriel angestachelt werden sollte, für welche die Galgen, deren Gestell die Aufschrift "Volksverräter" trug, ausweislich des anhängenden Schildes "reserviert" waren. Auch dass der Hersteller der Galgen dies vorhabe, sei nicht zu erkennen. Angesichts der Beschriftung der Galgen mit "Mutti" und "Pack" sei die Ernsthaftigkeit einer solchen Ankündigung zu verneinen.
Hier kommt es zur hitzigen Diskussion über die Verwendung oder Nichtverwendung des Begriffs Kunst. Der Erstbericht in der SZ hatte ausgeführt, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren eingestellt, weil es sich bei den Galgen um Kunst handle. Später hatte der Autor Steinke gegenüber Kritikern erklärt, er habe nicht behauptet, das Wort "Kunst" komme ausdrücklich in der Einstellungsverfügung vor; sie sei aber so gemeint gewesen. Dies wiederum bestritt alsdann die Staatsanwaltschaft.
Tatsächlich ist das ganze Hickhack müßig, weil es darauf nicht ankommt (auch wenn Rechtsanwalt Liesching auf community.beck.de einen Anspruch auf Gegendarstellung begründet sieht). Alle Seiten gehen nämlich, soweit ersichtlich, schon wieder von einem "materiellen" Kunstbegriff aus, wonach ein Gegenstand entweder Kunst oder verboten ist. So ist es aber nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor Jahrzehnten diese alte Rechtsprechung aufgegeben und einen "formellen" Kunstbegriff etabliert. Über eine mögliche Strafbarkeit entscheidet also nicht die bloße Einordnung als "Kunst". Das heißt: Auch Kunst kann strafbar sein.
Der Galgenbauer Döbel hat der Welt mitgeteilt, er sei ein Künstler und sein Galgen eine "Satire". Nun kann man den Begriff Satire gewiss weit auslegen und notfalls sogar die Bezeichnung "Ziegenficker" dem Bereich des hintergründigen Humors zuordnen. An des Galgenbauers Tätigkeit ist allerdings, soweit ich sehe, das einzig Satirische dessen Behauptung, er betreibe Satire. Zur Satire wird dies nämlich erst dadurch, dass tapfere Wortklauber bei Staatsanwaltschaften oder sonst wo an der Schwelle dieses Zauberworts verzweifeln und sich schrecklich fürchten.
Tod dem Volksverräter
Ein Galgen ist ein Galgen. Er dient nicht zum Wäschetrocknen, sondern zum Töten von Menschen mittels eines Stricks, der an Herrn Döbels "Miniatur-Galgen" ja gleich in doppelter Ausführung herabbaumelt: Menschen werden darin "am Halse aufgehängt, bis der Tod eintritt", wie es frühere Todesurteile in schöner Gesetzeslyrik formulierten. Zugleich hat der Galgen als Tötungsmethode stets die Konnotation und Bedeutung von "Strafe": Am Galgen baumeln der Pferdedieb und der aufsässige Sklave, der Empörer und der Störenfried. Auch die Erhängungen durch "Regulatoren" und andere Lynchmobs waren in ihrer kommunikativen Demonstration stets "gerechte Strafe" – mit oder ohne Gesetz, aber stets im Namen einer (übergeordneten) "Gerechtigkeit".
Diese Gerechtigkeit finden wir auch auf den Schöpfungen des Schwarzenberger Satire-Meisters: "Volksverräter" lautet seine Galgeninschrift – Widmung oder Beschreibung, wie auch immer. Der Begriff ist alt; er wurde schon im Vormärz des 19. Jahrhunderts benutzt. In Deutschland wurde er aber in den 1920er-Jahren endgültig von den Rechtsradikalen erobert und fortan benutzt, bis der Volksgerichtshof des Richters Roland Freisler viele Tausend "Volksverräter" als "für immer ehrlos" und des Todes würdig massakrierte. An diese sprachliche Tradition knüpft an, wer in Schwarzenberg und Chemnitz "satirische" Galgen für Volksverräter aufstellt.
Ein Volksverräter ist des Todes. Das sagt zwar nicht das Volk, aber derjenige, der es jeweils ganz genau zu kennen und zu vertreten vorgibt. Er meint damit, ganz offenkundig, weder den künstlerischen noch den satirischen noch den wirtschaftlichen noch den politischen Tod: Er meint den Tod, der durch Aufhängen am Hals eintritt.
Nun könnte man sich vorstellen, dass die Darstellung einer Tötungshandlung (etwa Erschießen) in einer Karikatur verwendet wird, um irgendeine intellektuelle, formale oder emotionale "Vernichtung" im Sinn von "Entmachtung", Mundtot-Machen und dergleichen darzustellen. Auch Lucky Lukes gewaltige 45er-Kanonen waren nicht allesamt Mordaufrufe.
Sinn und Absicht
Bei dieser adventlich-friedvollen Erwägung kommen uns aber unweigerlich die Wörtlein "reserviert für" in die Quere. Da muss sich ein Staatsanwalt mit zwei Examen in Auslegungskunst schon wirklich extrem reinhängen, um die Kurve zum "politischen Tod" hinzukriegen. Denn "reserviert für" ist eine über alle Maßen klare Zweckbestimmung. Sie stellt einen intentionalen (zweck-gerichteten) Sinnzusammenhang her zwischen einem Tötungswerkzeug und einer Person. Wenn man Frau Merkel oder Herrn Gabriel den "politischen Tod" an den Hals wünschte, hätte es überhaupt keinen Sinn, dieses Ereignis für sie zu "reservieren". Muss man das wirklich noch im Einzelnen erklären?
Und dann gibt es noch einen anderen Sinnzusammenhang: Pegida & Co. ist ja, wie die sächsischen Staatsanwaltschaften vermutlich inzwischen ahnen, eine sogenannte Bewegung, die behauptet, das wahre, ehrliche, ganzheitliche, biologisch einwandfreie Volk, wenn nicht zu sein, so doch jedenfalls zu repräsentieren. Ihr ideologisch gemeinschaftsstiftender Kern besteht in der Annahme, dass der sogenannte Mainstream in Politik, Medien und öffentlicher Meinung die wirkliche Wahrheit des Volkswillens und der Volksinteressen nicht abbilde, sondern missachte.
Die "Satire"-Opfer Merkel und Gabriel stehen aus genau diesen Gründen, wenn auch aufgrund unterschiedlicher Anlässe, auf der Todesliste von Pegida: Merkel, weil sie durch die exekutivische Entscheidung, im September 2015 unkontrolliert ein paar Hunderttausend sogenannte Flüchtlinge in die Bundesrepublik und natürlich besonders in den Freistaat Sachsen einzulassen, das deutsche "Volk" verraten, "Hochverrat" begangen und eine Herrschaft des Unrechts begründet habe. (Wobei das mit der Herrschaft des Unrechts jetzt nicht wirklich von Pegida, sondern vom besten Freund der Frau Merkel stammt, Herrn Horst S., einem Modelleisenbahner und Hersteller von Miniaturbergen mit Miniaturtunnels, die aber im Keller der Wahrheit, also nichtöffentlich, aus Pappmaché und Gips hergestellt werden).
Gabriel, der Freund des schnellen Wortes und daher Liebling der RedakteurInnen, bezeichnete einst in einem ersten Gefühlsschwall die Pegidisten, die "Merkel weg!" haben wollten, als "Pack", hockte sich dann in einem zweiten Schritt mit sorgenzerfurchter Stirn zwischen die besorgten Muss-Weg-Bürger und entschwand in einem dritten Schritt in den Satire-Gipfeln seiner Partei auf ihrem 345-jährigen Weg zum Sozialismus. So blöd ist das Pack dann aber auch nicht.
Zwischenergebnis
Fassen wir das Gesagte kurz zusammen. Denn die Erfahrung zeigt, dass manches doppelt gesagt werden muss:
Von Satire kann hier nicht die Rede sein, denn es fehlt schon an jeglichem Anhaltspunkt dafür, was der Gegenstand einer solchen sein könnte. Dass der Bastelfreund Jens Döbel aus Schwarzenberg behauptet, er habe die vollständige Bescheuertheit der Pegida-Demonstranten satirisch veralbern wollen, ist bisher nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft könnte diese Auslegungsvariante also beiseitelassen.
Wenn deshalb ergründet werden muss, was der Galgenbauer oder -Vertreiber eigentlich "sagen will", so kommen wir zu folgendem Schluss: Er möchte, dass "Volksverräter" so behandelt werden, wie man Volksverräter behandelt, wenn man kann: Sie sollen mit dem Tod durch Erhängen bestraft werden, wie es das Volk will. Das klappt bloß derzeit nicht, weil sich diesem Anliegen des ("wahren") Volkes die notorisch antifaschistische Polizei des Freistaats Sachsens samt sämtlichen Designierten sowie die westdeutsche Lügenpresse entgegenstemmen. Deshalb ist der Weg zum Galgenhügel für Merkel und Gabriel derzeit nur "reserviert" und nicht eröffnet.
Der Begriff "Reservieren" bedeutet im üblichen Sprachgebrauch, dass ein Platz, eine Position, eine Bedeutung vorgehalten (blockiert) wird für ein zukünftiges Ereignis. Das Ereignis, um welches es hier geht, ist nicht die Bundestagswahl 2038, sondern die Übernahme der Macht des "wahren Volkes". Wer das nicht versteht, weiß und durchdringt, mag zwei Staatsexamen verstanden haben, sonst aber nicht sehr viel. Anders gesagt: Der galgenbauende Satiriker aus dem erzgebirgischen Engelchenschnitzerland, wo die kleinen Tannenbäumchen aus Weichholz von der niedrigen Decke des gemütlichen Stübchens herabtropfen, möchte gern, dass das biodeutsche Volk demnächst die Volksverräter Merkel und Gabriel ihrer verdienten Todesstrafe zuführt.
Noch mal Recht
Bleibt die Frage: Ist das eine "Aufforderung" im Sinn von Paragraf 111 Strafgesetzbuch? Man muss leider, liebe VolksmitgliederInnen, hier schon wieder unterscheiden: Es gibt "Aufforderung" (Paragraf 111), es gibt "Anstiftung" (Paragraf 26), und es gibt "versuchte Anstiftung" (Paragraf 30 Abs. 1). Das zweite können wir schon mal streichen, weil ein Tötungsverbrechen gegen Merkel oder Gabriel ja nicht unternommen wurde. Bleiben also: Versuchte Anstiftung oder Aufforderung?
Dem Laien erscheint die Unterscheidung zunächst unverständlich. Der Unterschied ist aber gewaltig: Für Anstiftung wird man bestraft "wie der Täter" (Paragrafen 26, 30 StGB); für "Aufforderung" nur mit allerhöchstens fünf Jahren. Der Grund für diese Unterscheidung liegt in der Konkretheit der Aufforderung und daher im Grad der Gefahr für das Rechtsgut: Wenn Sie Herrn X sagen: Bitte bringen Sie meinen Ehemann morgen Abend um 20.00 Uhr beim Verlassen des Büros um, so ist das eine (versuchte) Anstiftung, weil die Tat sehr genau und individuell beschrieben ist. Wenn Sie auf einem Facebook-Account schreiben: "Einer meiner 2.713 Freunde sollte bitte baldmöglichst meinen Ehemann töten", ist das eine öffentliche Aufforderung im Sinn von Paragraf 111 StGB.
Anders gesagt: Die Aufforderung muss deutlich weniger konkret und individuell sein. Ich erlaube mir, hier Ausführungen aus einem recht weit verbreiteten Erläuterungskommentar zu zitieren (Fischer, StGB, 65. Auflage 2017, Paragraf 111, Randnummer 4a):
"Der Täter muss zu einer bestimmten Straftat auffordern. Diese kann allerdings weniger konkret sein als bei (der Anstiftung). Die bloße Kennzeichnung der Art einer Tat ohne Hinweis auf Zeit, Ort und Opfer reicht in der Regel nicht aus. Eine Ausnahme kann gelten, wenn die Äußerung eine jederzeitige Ausführung intendiert und wenn es auf eine Individualisierung … nicht ankommt."
So ist es, und so sieht es die höchstrichterliche Rechtsprechung. Prüft man diese Voraussetzungen, liegt die Annahme ziemlich nahe, dass ein Pegida-Aktivist, der die Bundeskanzlerin als "Volksverräterin" bezeichnet und mit der Parole "Merkel muss weg!" durch die Straßen zieht, durch die Mitführung eines "reservierten" Galgens nicht zum Ausdruck bringen möchte, Frau Dr. Merkel möge beim nächsten Parteitag der CDU 3,2 Prozent weniger Stimmen erhalten als beim letzten Mal. Er findet vielmehr, dass das "Volk" ihr den Garaus machen solle, wenn es demnächst die Macht übernimmt.
Ich meine also, dass die Auslegung des Äußerungsinhalts des Pegida-Galgens ein ziemlich klares Ergebnis hat. Diese Ansicht wird bestärkt, wenn ich mir die Einzelfälle anschaue, die von der Rechtsprechung zu Paragraf 111 Strafgesetzbuch entschieden wurden.
Und sonst …
Bleiben strafrechtlich noch ein paar Randfragen: "Beleidigung" (Paragraf 185 StGB) ist nicht das "Reserviert für …" des Galgens, wohl aber die Bezeichnung als "Volksverräter". Diese Beleidigung wird aber nur auf Antrag verfolgt (Paragraf 194 Abs. 1 StGB). Eine Tatsachenbehauptung im Sinn der Paragrafen 186, 187 Strafgesetzbuch enthält die schwachsinnige Beschimpfung als "Volksverräter" nicht.
Eine Bedrohung (Paragraf 241 StGB: "Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn … gerichteten Verbrechens bedroht …") liegt nicht fern. Die Anforderungen an die Konkretisierung des angedrohten Verbrechens werden von der Rechtsprechung teilweise sehr (!) niedrig angesetzt: Das Erzeugen eines vagen, allgemeinen Zustands der Besorgnis reicht aus. Ich schlage vor, die Staatsanwaltschaft Chemnitz prüft einmal hypothetisch, wie sie wohl die Lage einschätzen würde, würden Bilder des Leiters der örtlichen Polizeidirektion am Galgen herumgetragen, unter der Parole: X muss weg! Ich ahne, dass der betroffene Beamte alsbald wegen posttraumatischer Belastungsstörung vier Monate lang krankgeschrieben werden müsste und der Innenminister eine Stiftung zugunsten der Familien bedrohter Kolleginnen und Kollegen von der Front anregen würde.
Anstand
Wer für namentlich bezeichnete "Volksverräter" speziell "reservierte" Galgen herumschleppt, herzeigt, herstellt und vertreibt, begeht keine "Satire" und auch keine kleine Unhöflichkeit. Er tut das ja nicht zufällig und nicht ohne Bezug zur kommunikativen Grundstimmung der ihn umgebenden sozialen Wirklichkeit. Die Behauptung, den Sinn dieser Äußerung so oder so oder ganz anders einzuschätzen, liege halt im Ermessen der "unabhängigen" staatsanwaltschaftlichen Eingebung, ist nicht nur formell unrichtig, sondern vor allem in der Sache: feige.
Andererseits – es bebt der Volkszorn der Guten, auf zwei Seiten, wie immer. Die wunderbare "Meinungsfreiheit" auf der einen Seite und die bittere Empörung auf der anderen: Eine Sauerei gehört bestraft! Und was eine Sauerei ist, bestimmen ich und meine Freunde.
Beides ist falsch. So geht es nicht. Wir (Staatsbürger) müssen uns orientieren, aber deshalb auch immer wieder entscheiden. Es geht dabei nicht um Höflichkeit und guten Geschmack. Die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität müssen für alle halbwegs gleichmäßig gelten, sonst sind sie nichts wert. Klar ist, dass diese allgemeine Regel in der Praxis (hoffentlich) immer umstritten sein wird. Wer nur noch Eindeutiges will, soll halt nach Nordkorea ziehen oder Evangelikaler werden. So weit sind wir noch nicht.
Gewaltpropaganda sollte ausscheiden. Die (Straf-) Gesetze halten dafür eine große Vielzahl von Tatbeständen bereit, die von intelligenten Juristen und ihren noch intelligenteren Herren seit 140 Jahren mit großer Kreativität ausgelegt und angewandt worden sind, um Ergebnisse zu erreichen, die "passen".
Die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Chemnitz soll mitgeteilt haben, die Sache mit dem "Onlinevertrieb" werde nun "intern geprüft", nachdem sich diese Sachverhaltsmöglichkeit überraschend plötzlich aufgetan habe. Das wollen wir hoffen, denn es hätte mich doch gewundert, wenn die Staatsanwaltschaften des Freistaats Sachsen die Rechtsfragen jetzt extern prüfen ließen.
Ich habe keine formelle Kompetenz. Ich kenne die Akten nicht und nicht die vielleicht intensiven internen Diskussionen. Ich schließe daher nicht aus, dass die Entscheidung der sächsischen Staatsanwaltschaft – vorerst – vertretbar ist. Aber auf der gegebenen Grundlage bin ich dezidiert anderer Ansicht: Die Auslegung der in Ausstellung und Angebot eines für bestimmte Personen "reservierten" Tötungsinstruments unter den kommunikativen gesellschaftlichen Bedingungen des Jahres 2017 lässt keinen Raum für harmlose Bedeutungsvarianten. Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Chemnitz ist nicht überzeugend.