Die deutsche Sprache heißt Elli Pachulke.
Spoiler
Die Legende der Elli Pachulke
Von Charles Lewinsky
Die deutsche Sprache hieß Elli Pachulke und war Serviererin in einem Bumslokal.
Die Kneipe hatte schon bessere Tage gesehen, so wie Elli selber auch. Junge Gäste kamen nur noch selten, seit gleich nebenan ein "Planer Hollywood" eröffnet hatte. Aber man stand immer noch im Baedeker, denn schließlich hatte hier Goethe mal verkehrt und sich für die damals noch dralle Elli interessiert. Sie war dann allerdings auch mit Heine, diesem Ausländer, in die Betten gestiegen, und am Professorentisch munkelte man hinter vorgehaltenem Bart, die beiden hätten dort Dinge getrieben... also wirklich, wo kommen wir da hin?
Auch die Juristen und die Beamten hatten hier ihren Stammtisch. Sie liebten es, komplizierte Bestellungen aufzugeben, voller Sonderwünsche und Nebensätze, und wenn Elli sich beim Bedienen wieder mal verrenken musste, dass die Gelenke knackten, dann waren sie mächtig stolz auf ihr Lokal und wussten, dass kein schönres geben konnte weit und breit in dieser Zeit. Das macht uns keiner nach, auch wenn das "Trois Escargots" dem Vernehmen nach auch nicht so übel war; sie hatten dort eine Francoise, von der es hieß, sie sei bedeutend eleganter als die gute alte Elli.
Der beste Tisch war für die Honoratioren reserviert, den nahm ihnen keiner weg, obwohl sie schon so oft die Zeche geprellt hatten. An besonderen Tagen saßen sie sogar auf einem Podest und ließen sich von Elli leere Krüge bringen, mit denen sie dann den Bürgern zuprosteten, voll feierlicher Würde. Ihre Fähigkeit, sich an leeren Krügen zu besaufen, stammte noch aus der Zeit, als es Elli in einem Anfall von Torschlusspanik mit lauter Uniformierten getrieben hatte.
Aber vor allem war es ein volkstümliches Lokal, und das tümliche Volk schaukelte an langen Tischen, hingebungsvoll besoffen und voll patriotischem Stolz auf die Tatsache, dass hier jeder Elli unter den Rock fassen durfte, derselben Elli, deretwegen sich laut Baedeker Heinrich von Kleist erschossen hatte, und sowas ist ja nicht nichts.
Am Katzentisch, dort wo es nach altem Bier riecht und nach den Spezialitäten von gestern, hockten die ausländischen Touristen, die schon Heidelberg gesehen hatten und Rothenburg ob der Tauber und die jetzt noch die Elli abhaken wollten, bevor sie nach Italien weiterfuhren. Sie legten ihre Reiseführer in die Bierpfützen und lasen noch einmal nach: Ja, Elfriede Pachulke hatte damals auf der Wartburg das Tintenfass serviert, mit dem Martin Luther dann auf den Teufel schoss.
Der Elli war der Rummel egal. Sie schleppte die Bestellungen zu den Tischen, den Wein, der sich auf Rhein reimte, auch wenn ihn der Wirt schon lange aus allem zusammenpanschte, was sonst nicht mehr an den Mann zu bringen war, das Bier, das es auf Hawaii nicht gab und all die Spezialitäten, die schon lange keinem mehr schmeckten, aber schließlich stand die Speisekarte im Baedeker, und was auf den Tisch kommt, wird gefressen.
Sie war schwerfällig geworden, die gute alte Elli, aber das fiel keinem auf, denn die Stammgäste waren mit ihr gealtert, hatten mit ihr Krampfadern gekriegt und Übergewicht, und wenn die gute alte Musi die guten alten Melodien spielte, wenn die Elli ein Schunkellied zum besten gab oder ein Kapitelchen Hera Lind vorlas, dann war alles wie früher, nur dass es nicht mehr musikalische Unterhaltung hieß, sondern Showtime.
Und dann kam plötzlich alles anders.
Die Elli kam eines Tages zur Arbeit... Falsch, sie kam nicht einfach. Sie schwebte zur Arbeit, sie hüpfte, sie schmetterlingte, und dass es so ein Verb überhaupt nicht gibt, das war ihr ♥♥♥gal. Sie stellte die Gläser nicht mehr aufs Tablett, zwei links, zwei rechts, und immer schön die Balance halten, nein, sie jonglierte damit, elahopp, und sie hielt sie alle gleichzeitig in der Luft, immer noch eins und noch eins und noch eins. Und wenn sie dann auf dem Tisch landeten, nie dort, wo man sie erwartete, und doch am genau richtigen Ort, dann schmeckte der Wein plötzlich wieder nach Wein, und das Bier war frisch gezapft.
Sie tanzte auch mal auf dem hohen Seil, die Elli, oder zeigte waghalsige Kunststücke am Trapez, ganz nebenher, ohne Trommelwirbel, ohne Netz, ließ einfach los, nur so aus dem Handgelenk, und wenn alle dachten: "Jetzt fällt sie auf die Schnauze!", da hatte sie schon wieder einen Halt gefunden, wo gar keiner war, und lachte.
Ja, sie lachte wieder, die Elli, das war man schon gar nicht mehr gewohnt von ihr, schließlich ist Serviererin ein ernster Beruf, mit all den Bestellungen, die man im Kopf behalten muss. Sie zog sich auch anders an, trug nicht mehr dieses Dirndl, ds all die Jahre de erschlafften Busen kaschiert hatte, und der war auch gar nicht mehr erschlafft, denn die Elli war wieder jung geworden und übermütig und lebenslustig.
Und abgenommen hatte die Elli auch.
Am Professorentisch schüttelten sie die Köpfe und fühlten sich an die Zeit erinnert, als es die Elli mit dem Heine getrieben hatte. Aber diesmal war´s nicht der Heine.
Diesmals war´der Gernhardt.