Hier der Artikel. Ein tragischer Fall und sehr interessante Einblicke wie das bei den germaniten läuft.
RINTELN. Gegen Jörg Pagels liegt ein Haftbefehl vor. Sein Haus in Goldbeck wurde vom Staatsschutz durchsucht. Seine Computer wurden beschlagnahmt. Wirtschaftlich und emotional ist er angeschlagen, gesundheitlich am Ende. Vergangene Woche ist sein Herz stehen geblieben. Die Ärzte mussten ihn vier Mal wiederbeleben.
Im Gespräch mit Pagels wird klar: Irgendwo hat sein Leben die falsche Abzweigung genommen. Aus einem deutschen Staatsbürger, verantwortungsvollen Familienvater und erfolgreichen Unternehmer wurde ein „Germanit“. Ein Staatsverweigerer. Ein Reichsbürger, auch wenn Pagels dieses Wort ablehnt. Er bezeichnet sich lieber als „Souverän“. Und als Mensch.
Seine Geschichte ist ebenso tragisch wie exemplarisch. Elemente davon finden sich in den Einzelschicksalen vieler Menschen wieder, die heute unter dem Begriff „Reichsbürger“ subsumiert werden. Früher hätte man sie wohl eine Sekte genannt.
„Man wird in einen Krieg hineingezogen“, beschreibt Pagels seine Erfahrungen bei den Reichsbürgern. „Doch dann steht man am Schlachtfeld, dreht sich um und hinter einem steht plötzlich niemand mehr.“ Also wandte er sich an die sogenannte „Justizopferhilfe“ und kam so zu den „Germaniten“. Foto: mld
Es ist ein schleichender Prozess der Entfremdung, den Pagels beschreibt, der Abkopplung vom Staat und von seinen Organen, die zunehmend als bedrohlich wahrgenommen werden.
Über Kontakte im Ausland – Pagels reist beruflich viel – und im Internet kam er in Kontakt mit der „Reichsbürgerszene“. Im Kern dreht sich ihr Gedankengut darum, dass die Bundesrepublik kein rechtmäßiger Staat sei. Dass sie keine Steuern eintreiben, keine Häuser zwangsversteigern, keine Schulden eintreiben dürfe. Jeder Bürger lebt demnach mitten in einem Unrechtsstaat.
Pagels wollte dagegen ankämpfen. Er wollte für das Gute eintreten.
In der Biografie der meisten Reichsbürger findet sich ein wirtschaftlicher Tiefschlag. Oft sind sie insolvent. Bei Pagels war es ein überschuldetes Eigenheim. Als der Druck stieg, wandte er sich hilfesuchend an andere Menschen, die dem Staat ebenfalls sein Existenzrecht absprechen. Bundesweit gibt es hunderte Gruppierungen, die untereinander oft zerstritten sind. Die Germaniten sind nur eine davon – doch auf sie trifft Pagels erst später.
Immer intensiver beschäftigte er sich mit seinem neuen Weltbild. Mit Handels- und Seerecht, mit dem Deutschen Reich und dem allgemeinen Unrecht, das heute herrsche. Seine damaligen Unterstützer bestärkten ihn in seinen Ansichten und stärkten ihm den Rücken. Er spendete Geld an ihre Organisationen.
Heute meint er: „Ich hätte das Haus ja bezahlen können – aber ich war starrsinnig, weil ich das durchziehen wollte. Ich hatte ja Unterstützer.“ Er glaubte an die Richtigkeit seines Handelns. Und stand am Ende doch alleine da.
Laut Verfassungsschutz hat die Reichsbürgerbewegung tausende Mitglieder. Die Szene wächst rasant über das Internet. Lange wurde sie von offizieller Seite belächelt oder ignoriert. Viele Staatsverweigerer stecken in finanziellen Probleme, doch einige wenige Ideologen verdienen sich am Leid der anderen eine goldene Nase. Sie sitzen wie die Spinne im Netz und warten auf hilfesuchende Menschen.
„Viele bezahlen dann Geld, das sie gar nicht mehr haben“, sagt Pagels. Und sie bezahlen für Hilfe, die keine ist.
Denn die Schreiben, die von diesen „Helfern“ hundertfach an Gerichte, Ämter und Staatsanwaltschaften übersandt werden, sehen zwar imposant aus. Doch sie können das Unausweichliche meist nur hinauszögern. Steuerschulden verschwinden nicht, wenn man dem Staat sein Existenzrecht abspricht.
Pagels beschreibt seine Situation so: „Man wird in einen Krieg hineingezogen. Dir wird immer gesagt, du bist im Recht, du bist gut aufgestellt, wir stehen alle hinter dir. Doch dann steht man am Schlachtfeld, dreht sich um und hinter einem steht plötzlich niemand mehr.“
Nach dieser enttäuschenden Erfahrung wandte Pagels sich hilfesuchend an die sogenannte „Justizopferhilfe“. Sie trägt ihr Geschäftsmodell schon im Namen. „Ich dachte mir, es schadet ja nicht, einen Gesprächstermin auszumachen.“
Sein Kontaktmann bei der „Justizopferhilfe“, Axel T., erklärte ihm gleich: bisher alles falsch gemacht. Aber er könne ihm helfen. Allerdings nur, wenn er ein Staatsbürger „Germanitiens“ werde. Also wurden Pagels und seine Frau „Germaniten“.
Um sein Haus zu schützen, vermietete er es für einen symbolischen Euro an die Germaniten. Um sein Auto zu schützen, überschrieb er es ihnen. Um sein Eigentum zu schützen, überließ er alles seinen neuen „Freunden“. Und bezahlte für diese „Dienstleistung“ auch noch.
„Wenn mir nichts gehört, kann mir nichts genommen werden“, dachte sich Pagels. Und als „Germanit“ konnte er seinen Besitz ja weiter nutzen.
Beim Überschreiben von Pagels‘ Besitz beschränkte sich die „Justizopferhilfe“ natürlich nicht auf ihr eigenes Rechtssystem. Hier achteten die Staatsverweigerer peinlich genau auf die Einhaltung der deutschen Rechtsnormen.
Der Deal zwischen Pagels und der „Justizopferhilfe“ war recht simpel: „Ihr haltet mir den Rücken frei, damit ich arbeiten und Geld verdienen kann.“ Kamen Briefe vom Gericht, vom Staatsanwalt oder von den Banken, dann schickte er sie einfach weiter an die „Justizopferhilfe“. Deswegen weiß Pagels nach eigenen Angaben bis heute nicht, wie hoch er tatsächlich verschuldet ist, welche Vorwürfe Polizei und Justiz ihm genau zur Last legen.
Später wollte Axel T. ihn dann auch im Vorstand der „Justizopferhilfe“ haben.
„Du hast dir das verdient, haben sie gesagt, wir vertrauen dir“, erinnert sich Pagels, „ja gut, ich konnte ja eh nichts dagegen tun.“ So wurde Pagels „Botschafter“ von Germanitien und Mitglied des Vorstands.
Doch die „Justizopferhilfe“ bietet nicht nur kostspielige „Rechtshilfe“ an. Sie veröffentlicht auf ihrer Homepage auch Videos von verurteilten Holocaust-Leugnern wie Ursula Haverbeck oder Terroristen und Rechtsextremisten wie Horst Mahler.
Axel T. und andere hochrangige Germaniten besitzen eine einschlägig rechtsradikale Vergangenheit, unter anderem im verbotenen „Collegium Humanum“ aus Vlotho oder in der NPD. Außerdem werden auf der Homepage regelmäßig Menschen beleidigt. Journalisten werden als „Nazi-Kinderschänder“, oder Richterinnen als „Nazi-♥♥♥“ bezeichnet. Gerichtsverhandlungen werden heimlich mitgeschnitten und veröffentlicht, Hakenkreuze gezeigt. Wegen dieser Vorwürfe durchsuchte der Staatsschutz diese Woche das Haus von Pagels, als dieser nicht zu Hause war.
Von den Beiträgen auf der Homepage will Pagels nichts mitbekommen haben. Und Zugriff auf die Homepage der „Justizopferhilfe“ habe er nie gehabt, auch nie einen Text dafür verfasst. Begriffe wie „Nazi-♥♥♥“ verurteilt er. Ermittelt wird in der Sache dennoch gegen den Goldbecker, dessen Frau, Axel T. und einen weiteren Germaniten.
Unter anderem deshalb möchte Pagels Germanitien verlassen, mit der „Justizopferhilfe“ nicht weiter in einen Topf geworfen werden. „Ich habe ihnen gesagt, ihr macht euer Ding, ich mache mein Ding.“ Doch so einfach ist es nicht.
„Einmal drin, immer drin“, wurde ihm ausgerichtet. Pagels und seine Frau stehen bis heute als Vorstandsmitglieder auf der Homepage. Sein Auto gehört den Germaniten. Sein Haus hat er ihnen vermietet. Wenn er austrete, dann quartiere man Asylbewerber darin ein, wurde ihm einmal gedroht. „Was ich auch tue, ich verheddere mich immer weiter“, sagt Pagels.
Doch aufgeben möchte Pagels nicht. „Man muss loslassen können.“ Pagels hat sich jetzt einen echten Anwalt genommen. Einen „BRD-Anwalt“, wie er bis heute sagt.