Spoiler
Ingo K., ein verurteilter Schwerverbrecher, wird in den Sitzungssaal 6 des Landgerichts Mosbach in Baden-Württemberg geführt. Der Reichsbürger versuchte im April 2022 mit einem Sturmgewehr mehrere Polizisten zu erschießen, die eine illegale Kurzwaffe in seiner Wohnung in Boxberg beschlagnahmen wollten. K. wurde dafür wegen Mordversuchs zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Hier am Landgericht Mosbach, einem beschaulichen Gericht in Nordbaden, ist er diesmal allerdings kein Angeklagter, sondern Zeuge.
Was ist der Anlass? Nach den Schüssen hatte die Polizei den Hof, auf dem sich K.'s Wohnung befand, durchsucht. Das Areal in Bobstadt, einem Ortsteil Boxbergs, besteht aus mehreren Gebäuden: Im Erdgeschoss des Hauptgebäudes lebte der Schütze, im Obergeschoss der Vermieter Heiko A. mit seiner Frau Bianca und Sohn Max; im Nebengebäude Sohn Leon mit dessen Frau Sophia.
Wie sich herausstellte, war der Hof ein Hort illegaler Waffen. Die Polizei hatte eine Kammer mit acht Schusswaffen und 5.116 Munitionspatronen im Erdgeschoss und eine Kammer mit fünf Schusswaffen und 7.771 Munitionspatronen im Nebengebäude entdeckt, zudem eine Cannabisplantage mit 38 Pflanzen. Die Tatwaffe des Reichsbürgers – ein Sturmgewehr Zastava M70 – und ein Sturmgewehr Heckler & Koch G3 lagen im Eingang des Hauptgebäudes. Eine Pistole im Büro des Untergeschosses, zwei Pistolen im Schlaf- und Wohnzimmer des Obergeschosses. Letztere waren verkohlt, denn das Obergeschoss des Hauptgebäudes war im Zuge des Schusswechsels mit den Beamten in Brand geraten.
Wem gehören all die Waffen?
Nur für die Waffenkammer in seiner Erdgeschosswohnung wurde Ingo K. am Oberlandesgericht Stuttgart im November 2023 verurteilt. Doch wem gehörten die Waffen in der anderen Kammer? Wem die Waffen im Unter- und Obergeschoss? Wem die Plantage? Diesen Fragen geht das Landgericht Mosbach auch an diesem Mittag Anfang August nach.
Timo Büchner
Timo Büchner studierte Politische Wissenschaften und Jüdische Studien in Heidelberg. Er recherchiert seit Jahren zur extremen Rechten und zum Reichsbürger-Milieu in Deutschland. Sein Fokus liegt auf Baden-Württemberg. 2024 wurde er mit dem Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus ausgezeichnet.
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe beschuldigt die Familie A. wegen mehrerer Verstöße, unter anderem gegen das Waffenrecht. Mit Fußfesseln sitzen die drei Männer und zwei Frauen auf der Anklagebank. Eigentlich hätte die Verhandlung bereits im Mai dieses Jahres stattfinden sollen, doch die Angeklagten blieben fern. Haftbefehle wurden vollstreckt; dabei wurde auf dem Areal eine "augenscheinlich schussbereite Maschinenpistole" entdeckt.
Als Ingo K. mit Fesseln in den Sitzungssaal 6 gebracht wird, lächelt Heiko A. Ihm ist die Freude über das Wiedersehen anzumerken. Vor dem Oberlandesgericht 2023 hatten die beiden noch geschwärmt, Freunde und enge Vertraute zu sein.
Alte Freunde im Konflikt
Die Reichsbürger-Ideologie hatte die Männer zusammengeführt. Die beiden verschickten Schreiben an Behörden, in denen davon die Rede war, die Bundesrepublik sei "kein souveräner Staat", stehe unter "alliierter Besatzung". Die Familie A. betrieb gemeinsam mit Ingo K. einen Selbstversorgerhof in Bobstadt, um autark zu sein.
Das Lächeln weicht schließlich aus Heiko A.'s Gesicht. Ingo K. belastet die Familie A. mit seiner Aussage schwer. Er vermute, so sagt er, sie habe die Kammer besessen. Sein Vermieter Heiko A. habe ihm die Waffen gezeigt. Dieser widerspricht: K. habe die Kammer genutzt, um Waffen zu lagern.
Mehr noch: Der Zeuge sagt aus, Max A., Heikos Sohn, habe das Sturmgewehr G3, das neben der Tatwaffe gefunden wurde, am Morgen des 20. April 2022 getragen – dem Tag, als K. auf die Polizisten schoss. Auch Max widerspricht: K. habe ihm das G3 in die Hand gedrückt. "Was soll ich damit?", habe er gesagt und die Waffe sofort zurückgegeben: "Ich will das nicht."
Bis heute ist die Rolle, die Max A. damals spielte, unklar. Er befand sich an dem Tag im April 2022 gemeinsam mit K. in dessen Wohnung, als das SEK anrückte – auch während des folgenden Schusswechsels. Als das Haus wegen einer von den Polizisten gezündeten Nebelgranate Feuer fing, stellten sich die beiden Männer. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart sagten mehrere Polizisten später aus, sie hätten feixend und witzelnd das Haus verlassen, hätten "wie ein eingespieltes Team" gewirkt. Da keine Schüsse aus dem G3 abgefeuert wurden, ist eine aktive Beteiligung Max A.'s an dem Schusswechsel jedoch eher unwahrscheinlich. Er erhielt vor dem OLG 2023 keine Strafe.
Als die Staatsanwaltschaft nun nach dem politischen Weltbild der Angeklagten fragt, schweigt der Zeuge. "Will mich hier nicht äußern", wiegelt er ab. Offenbar will er die Familie schützen. Das dürfte Gründe haben: Neben Reichsbürger-Schreiben wurden etliche Flaggen mit SS-Doppelblitzen und Hakenkreuzen auf dem Hof gefunden. Ein Foto, das 2018 im Partyraum der Familie A. gemacht wurde, zeigt eine Gruppe junger Erwachsener mit einer Flagge der NSDAP. Auf dem Foto ist Max A. zu sehen. "Das war in der Jugend", sagt der 27-Jährige im Prozess. Freunde, die Hausdurchsuchungen erlebten, hätten ihre Fahnen im Partyraum gelagert. Man habe oft gefeiert. Dann seien die Flaggen "halt mal aufgehängt worden".
Allerlei Neonazi-Musik wurde auf CDs im Partyraum und auf Handys entdeckt. Amok, Landser, Sturmwehr: bekannte Neonazi-Bands. Max A. beteuert, heute "friedlich" und "freundlich" zu sein. Dagegen spricht: Erst im Mai 2025 wurde er abseits des hier behandelten Falls wegen Bedrohung, Besitzes illegaler Waffen und Bewilligung von Straftaten rechtskräftig verurteilt.
Keine DNA-Spuren
Zurück zur Frage, wer für die Waffen im Haus verantwortlich ist: Die Aktenlage ist komplex, sie umfasst mehr als 12.000 Seiten. Gleichzeitig ist die Beweislage dünn. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe beschuldigt Heikos Sohn Leon und dessen Frau Sophia A., die Waffen und Munition in der Kammer im Nebengebäude gehortet und die angrenzende Cannabisplantage betrieben zu haben. Schließlich wohnten die beiden in dem Haus.
Allerdings wurden keinerlei DNA-Spuren in dem engen Kammerversteck gefunden. Es fehlen also Beweise dafür, dass die Beschuldigten von dem Raum wussten und mit den Waffen hantierten – nicht zuletzt, weil die Kammer vom bewohnten Teil des Gebäudes abgetrennt war. Das Einrichten des Waffenlagers mit knapp 8.000 Schuss Munition bleibt vor Gericht wegen dieser fehlenden Beweise schließlich ungesühnt.
Die Pflanzenzucht gestehen die Beschuldigten allerdings im Laufe der Verhandlung. Eigenkonsum, heißt es zur Begründung. Leon A. habe Knieschmerzen seit einem Autounfall. Verschriebenes Morphium habe nicht geholfen. Für die Zucht erhalten sie eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten.
Jubel im Gerichtssaal
Max A. wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, die "tatsächliche Gewalt" über das geladene Sturmgewehr G3 im April 2022 ausgeübt zu haben. Ein Waffensachverständiger erklärt im Prozess, das G3 sei eine Kriegswaffe. Somit wäre die Tat ein Verbrechen. Vor 15 Jahren sei die Waffe aus dem Materiallager der Bundeswehr gestohlen worden, berichtet eine Polizistin. Ermittlungen blieben allerdings ergebnislos. Es gab kaum DNA-Spuren auf dem G3. Von Ingo K. und Max A. konnten bloß "Mischspuren" festgestellt werden. Ob der Beschuldigte diese "tatsächliche Gewalt" über die Kriegswaffe hatte, bleibt ebenfalls unklar; die Richterin hat Zweifel.
Schließlich erhält Max A. nur für die Selbstladepistole im Schlafzimmer eine Bewährungsstrafe von neun Monaten. Damit folgt auch auf die G3 wegen fehlender Beweise keine Strafe, ebenso für die Selbstladepistole im Wohnzimmer. Für die geladene Pistole im Büro wird Heiko A. zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt, seine Frau Bianca A. wird freigesprochen.
Das Landgericht Mosbach hebt die Haftbefehle auf, die Fußfesseln werden entfernt. Max A. lächelt erleichtert, seine Familie ist frei. Im Publikum bricht Jubel aus. Verwandte und Freunde der Familie A. umarmen sich.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Frage, wer die Verantwortung für die Waffenkammer und die G3 trägt, bleibt bis zum Schluss unbeantwortet. Und das, obwohl Waffen und Munition sich auf dem Hof der Familie befanden.