Autor Thema: AG Mönchengladbach-Rheydt: Reichsbürgerei im Strafbefehlsverfahren  (Gelesen 355 mal)

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Offline Mr. Devious

Zitat
Wenn der Angeklagte im Strafbefehlsverfahren aufgrund seines Weltbildes meint, er könne sich nicht hinreichend mit der angeklagten Person identifizieren, um als diese an der Hauptverhandlung teilzunehmen, und er die Hauptverhandlung stattdessen als Bühne für politische Ausführungen missbrauchen will, verhält er sich rechtsmissbräuchlich. Hält er daran trotz richterlichen Hinweises fest, kann sein Einspruch gegen den Strafbefehl trotz seines körperlichen Erscheinens gemäß §§ 412 S. 1, 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen werden.

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Tenor: Der Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom 14.08.2024 wird verworfen.

Gründe:

I.

Gegen den Angeklagten ist am 14.08.2024 ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung über eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,- EUR erlassen worden, der ihm am 16.08.2024 zugestellt worden ist. Mit Schreiben vom 26.08.2024 hat der Angeklagte gegen diesen Strafbefehl sinngemäß Einspruch eingelegt.

Sowohl aus dem Einspruchsschreiben, als auch aus mehreren weiteren Eingaben des Angeklagten war erkennbar, dass dieser dem Reichsbürgermilieu zuzuordnen war und die Legitimation des Gerichts wie auch die Legitimität des Verfahrens in Zweifel zog.

Mit Verfügung vom 29.08.2024 hat das Gericht einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet und ihn über die Folge eines etwaigen Ausbleibens in der Hauptverhandlung ordnungsgemäß belehrt. Die Ladung ist dem Angeklagten am 21.08.2024 ordnungsgemäß zugestellt worden.

Bei Aufruf der Sache zur Hauptverhandlung erschien im Saal eine männliche Person. Auf Nachfrage des Gerichts, ob sie der Angeklagte sei, erklärte diese: „Ich bin selbst nicht der Angeklagte. Aber ich bringe Ihnen den Angeklagten“, und legte die Abschrift einer Geburtsurkunde des Angeklagten auf die Angeklagtenbank. Die Person selbst blieb mittig im Saal stehen.

Der Richter forderte die männliche erschienene Person auf, auf der Angeklagtenbank Platz zu nehmen, sofern er der Angeklagte sei und wies darauf hin, dass er den Einspruch gegen den Strafbefehl verwerfen werde, wenn die Person sich nicht als der Angeklagte zu erkennen geben und als solcher an der Hauptverhandlung teilnehmen werde.

Die männliche Person erwiderte darauf: „Ich setzte mich nicht dahin, weil ich nicht der Angeklagte bin. Ich bin auch nicht hier, den Angeklagten zu verteidigen. Ich habe großen Respekt und bin mit diesem hierhergekommen. Die Person, die hier angeklagt wurde, ist hier. Das ist die Urkunde, die dort liegt. Ich bin nur ein Mensch. Ich bin als ein Angehöriger der Allgemeinheit hier anwesend. Ich bin ein Mensch. Eine Person kann nur benutzt werden. Der Angeklagte ist da, er ist diese Urkunde. Die Person ist die Geburtsurkunde. Wer für diese Person spricht, ist dem Staat überlassen. Ich als Angehöriger der Allgemeinheit bin für den Angeklagten heute da. Mir gehört aber die Person nicht. Dem Staat gehört die Person. Ich kann nicht für die Person sprechen. Ich habe kein Mandat des Staats, um die Person zu verteidigen. Wir sind alle nur Menschen. Sie sind auch nur ein Mensch und haben kein Recht, hier zu urteilen“.

II.

Die Entscheidung beruht auf §§ 412 S. 1, 329 Abs. 1 S. 1 StPO in entsprechender Anwendung. Nach dieser Norm ist der Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl zu verwerfen, wenn weder er noch ein Verteidiger bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins erscheinen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Vorliegend ist der Angeklagte zwar mutmaßlich körperlich erschienen, denn es spricht einiges dafür, dass eine Person, die Kenntnis von dem Hauptverhandlungstermin hat und über dessen Geburtsurkunde verfügt, der Angeklagte ist. Der Angeklagte hat aber seine Identität als die angeklagte Person nachhaltig bestritten und sich geweigert, in der Rolle des Angeklagten an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Dieser Fall steht bei wertender Betrachtung dem genannten gesetzlich geregelten Fall des Nichterscheinens gleich.

Der Normzweck der Ausnahmebestimmung über die Verwerfung der Berufung (der entsprechend auf die Verwerfung des Strafbefehls anwendbar ist) wegen Nichterscheinens des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung besteht darin, zu verhindern, dass der Angeklagte durch unentschuldigtes Ausbleiben, durch eigenmächtiges Sich-Entfernen oder durch schuldhafte Herbeiführung von Verhandlungsunfähigkeit den Abschluss des Verfahrens verzögert (vgl. Ullenboom, StV 2019, 643). Ziele einer Verwerfung der Berufung oder der Sachentscheidung in seiner Abwesenheit sind demnach die Beschleunigung des Verfahrens (vgl. BGH, Beschl. v. 10.08.1977 - 3 StR 240/77, NJW 1977, 2277) und die Missbrauchsabwehr (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 08.07.2013 – III-2 Ws 354/13, zit. n. juris).  Für ein Erscheinen in diesem Sinne genügt vor diesem Hintergrund nicht schon jede körperliche Anwesenheit des Angeklagten, sondern es erfordert auch, eine Sachentscheidung über seine Berufung nicht dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (vgl. BGH, Beschl. v. 06.10.1970 - 5 StR 199/70, NJW 1970, 2253; BGH, Urt. v. 03.04.1962 - 5 StR 580/61, NJW 1962, 1117). Zu fordern ist auch, sich als Angeklagter zu erkennen zu geben, auf Frage des Gerichts gemäß § 111 Abs. 1 OWiG Angaben zu seiner Identität zu machen und sich so als Angeklagter und Berufungsführer auszuweisen; hierdurch wird sein Recht, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, nicht berührt (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 27.04.2022 – 1 Rv 34 Ss 173/22, BeckRS 2022, 9205; LG Berlin, Urt. v. 05.12.1996 - (574) 55/141 PLs 4163/95 Ns 93/96, NStZ-RR 1997, 338).

Die Anwesenheit des Angekl. im Fall des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO hat nämlich den Zweck, die Durchführung der Berufungshauptverhandlung zu ermöglichen, wozu die schlichte körperliche Anwesenheit des Angekl. nicht genügt; notwendig ist, dass der Angeklagte zum Zwecke der Durchführung der Hauptverhandlung erscheint. Der Ausdruck “nicht erschienen" ist dann dahingehend zu verstehen, dass nur der Angeklagte erschienen ist, der leiblich am Ort der Hauptverhandlung zugegen ist, die Fähigkeit besitzt, an der Verhandlung verständig teilzunehmen, und die Bereitschaft aufweist, an der Verhandlung mitzuwirken. Ist der körperlich präsente Angekl. nicht bereit, durch seine Mitwirkung selbst und freiwillig die Voraussetzungen für die Durchführung der Berufungshauptverhandlung zu schaffen, die er veranlasst hat und die allein zu seinen Gunsten stattfindet, handelt er rechtsmissbräuchlich. Ändert er sein Verhalten trotz Hinweises des Vorsitzenden über die möglichen Konsequenzen gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht, verwirkt er sein Recht auf Durchführung der Berufung. Es gibt keine rechtlichen Interessen des Angeklagten, die ein solches Verhalten rechtfertigen könnten (vgl. LG Berlin, Urt. v. 05.12.1996 - (574) 55/141 PLs 4163/95 Ns 93/96, NStZ-RR 1997, 338).

Ähnlich verhält es sich hier. Wenn der Angeklagte aufgrund seines kruden Weltbildes meint, er könne sich nicht hinreichend mit der angeklagten Person identifizieren, um als diese an der Hauptverhandlung teilzunehmen, verhält er sich rechtsmissbräuchlich. Sein körperliches Erscheinen verfolgte erkennbar gerade nicht den Zweck der Teilnahme an der Hauptverhandlung über seinen Einspruch gegen den Strafbefehl, sondern vielmehr den Zweck eines Nasführens des Gerichts und eines Missbrauchs der strafrechtlichen Hauptverhandlung als Bühne für die Präsentation der Weltanschauung des Angeklagten. Damit hat der Angeklagte sein Recht auf die Durchführung der Hauptverhandlung verwirkt und sein Einspruch war zu verwerfen.
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https://www.justiz.nrw/nrwe/lgs/mgladbach/ag_moenchengladbach_rheydt/j2024/21_Cs_130_Js_322_24_358_24_Urteil_20240917.html
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Re: AG Mönchengladbach-Rheydt: Reichsbürgerei im Strafbefehlsverfahren
« Antwort #1 am: 1. Oktober 2024, 08:27:55 »
... trotz seines körperlichen Erscheinens gemäß ... verworfen ...


Typischer Anfängerfehler. ???

Das Gericht wäre für ihn gar nicht zuständig gewesen, sondern für „den anderen“.

Aber auf diese Weise hat er das Süstem-Gericht natürlich anerkannt und ist jetzt dran.
Merke: Es genügt natürlich nicht, dämlich zu sein. Es soll schon auch jeder davon wissen!

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Re: AG Mönchengladbach-Rheydt: Reichsbürgerei im Strafbefehlsverfahren
« Antwort #2 am: 1. Oktober 2024, 08:39:12 »
In Zivilsachen hat man es zum Glück einfacher dank Para. 333 ZPO. Wer keinen Antrag stellt, gilt als nicht erschienen und kassiert ein Versäumnisurteil.
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten (Karl Valentin).

Um etwas zu gelten, müssen sich Nullen immer hübsch rechts halten (Adolf Glaßbrenner).
 
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Re: AG Mönchengladbach-Rheydt: Reichsbürgerei im Strafbefehlsverfahren
« Antwort #3 am: 1. Oktober 2024, 09:47:23 »
"...sondern vielmehr den Zweck eines Nasführens des Gerichts ..."

Ich schmeiß mich wech.  ;D
Sie müssen nicht alles glauben, was Sie denken!
 
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Re: AG Mönchengladbach-Rheydt: Reichsbürgerei im Strafbefehlsverfahren
« Antwort #4 am: 11. Oktober 2024, 16:03:47 »
LTO berichtet jetzt auch über den Fall

https://www.lto.de/recht/kurioses/k/ag-moenchengladbachrheydt-cs130js3222435824-reichsbuerger-theater-strafbefehl-einspruch-verworfen

Spoiler
Zitat
"Reichsbürger"-Theater vorm Amtsgericht
"Der Ange­klagte ist anwe­send – er ist diese Urkunde"
von Xenia Piperidou und Marcel Schneider
11.10.2024

Strafbefehl, Einspruch, Hauptverhandlung: Soweit nichts Ungewöhnliches. Wenn der Angeklagte aber gar nicht Angeklagter sein will und kein "Mandat des Staates" hat, wird's schwierig. Das AG Mönchengladbach-Rheydt löste diesen Fall pragmatisch.

"Ich bin selbst nicht der Angeklagte. Aber ich bringe Ihnen den Angeklagten." Mit diesen beinahe salbungsvollen Worten begann eine Verhandlung vor dem Amtsgericht (AG) Mönchengladbach-Rheydt, die merkwürdiger nicht anmuten könnte.

Es ging um einen Strafbefehl, gegen den der Betroffene innerhalb der gesetzlichen zweiwöchigen Frist Einspruch eingelegt hatte. Es kam damit zu besagter Hauptverhandlung. Dabei gilt wie immer: Wer ohne triftigen Grund zur Hauptverhandlung nicht persönlich erscheint, riskiert, dass sein Einspruch vom Gericht verworfen wird. So war es auch in diesem Fall – obwohl der Angeklagte jedenfalls körperlich anwesend war.

Nach den §§ 412 S. 1, 329 Abs. 1 S. 1 Strafprozessordnung (StPO) wird ein Einspruch gegen einen Strafbefehl verworfen, wenn der Angeklagte oder sein Verteidiger nicht zur Hauptverhandlung erscheinen und das Fernbleiben nicht ausreichend entschuldigt wird. Genau einen solchen Fall sah das Gericht hier als gegeben an (Urt. v. 17.09.2023, Az. 21 Cs-130 Js 322/24-358/24).

"Die Person gehört nicht mir. Sie gehört dem Staat."
Das Kuriose an diesem Fall: Der Angeklagte, der sich mit einem Strafbefehl wegen Insolvenzverschleppung konfrontiert sah, war zumindest körperlich im Gerichtssaal. Als der Richter ihn aufforderte, auf der Anklagebank Platz zu nehmen, reagierte er jedoch nicht wie erwartet. Stattdessen erklärte er, während er mitten im Saal stand, er sei nicht der Angeklagte. Er sei lediglich gekommen, um "den Angeklagten" zu überbringen. Um seine Aussage zu bekräftigen, legte er die Geburtsurkunde des Angeklagten – also seine eigene – vor.

Laut Urteil war das nicht das einzige Merkwürdige, das sich während der Hauptverhandlung zutrug. So habe der Angeklagte beharrlich weiter ausgeführt: "Der Angeklagte ist anwesend – er ist diese Urkunde. Die Person ist die Geburtsurkunde. Wer für diese Person spricht, entscheidet der Staat. Ich bin heute hier als Angehöriger der Allgemeinheit, um den Angeklagten zu vertreten. Die Person gehört mir nicht. Sie gehört dem Staat."

Wie aus dem Urteil zu lesen ist, gab sich der Richter größte Mühe, diesem Schauspiel juristisch gerecht zu werden. Er erklärte dem Mann demnach mehrfach, dass der Einspruch gegen den Strafbefehl nur weiterverhandelt werden kann, wenn er sich als Angeklagter zu erkennen gibt. Doch der Mann habe auf seiner skurrilen Position beharrt: Ohne ein "Mandat des Staates" könne er nicht im Namen des Angeklagten sprechen, da "die Person" schließlich dem Staat gehöre.

Körperliche Anwesenheit allein reicht nicht
So kam es zu einer mindestens ungewöhnlichen Konstellation: Der Angeklagte war zwar physisch anwesend, doch er weigerte sich, als die angeklagte Person aufzutreten. Damit bestritt er aus Sicht des Gerichts nachhaltig seine Identität als Angeklagter. Auch die Mitwirkung an der Verhandlung habe er damit beharrlich verweigert, so das Gericht. Diese Situation sei einem Nichterscheinen gleichzustellen, stellte es weiter fest. Ergebnis: Einspruch nach §§ 412 S. 1, 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen.

Das Gericht stellt in seiner Entscheidung deutlich klar, dass es nicht ausreiche, dass ein Angeklagter zwecks Einspruchs lediglich körperlich anwesend ist. Er müsse darüber hinaus auch bereit sein, die Verhandlung als Angeklagter fortzuführen. Andernfalls würde das Verfahren blockiert und die StPO unterlaufen.

Laut der Entscheidung war dem Gericht bekannt, dass der Mann dem "Reichsbürger"-Spektrum zuzuordnen sei. Daraus und aus seinem Verhalten schloss es, dass der Angeklagte die Hauptverhandlung bewusst zu sabotieren und für die Darstellung seiner Weltanschauung zu nutzen versucht habe – ein rechtsmissbräuchliches Verhalten, so das Gericht. Da der Mann trotz mehrfacher Aufforderung des Richters nicht bereit gewesen sei, seine Rolle als Angeklagter anzunehmen und aktiv an der Verhandlung mitzuwirken, habe er damit sein Recht auf die Durchführung der Hauptverhandlung verwirkt.
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Frei nach Loriot: Ein Leben ohne Hut-Mops ist möglich - aber sinnlos.
 
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