Ein Reichsbürger wollte nicht wahrhaben, dass die Polizei dem Vollziehungsbeamten des Finanzamts und dem Gerichtsvollzieher Vollzugshilfe leisten darf, und wurde vom VG Köln eines Besseren belehrt.
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Verwaltungsgericht Köln, 20 K 5265/18
Datum:
11.11.2021
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 K 5265/18
ECLI:
ECLI:DE:VGK:2021:1111.20K5265.18.00
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der 1970 geborene Kläger wendet sich gegen drei Maßnahmen, die in den Jahren 2016, 2017 und 2018 unter Beteiligung des Beklagten an seiner Wohnanschrift in M. durchgeführt wurden.
Der Kläger streitet sich nach eigenen Angaben seit längerem mit dem Finanzamt M. -R. über seine steuerrechtlichen Verpflichtungen.
Am 21.11.2016 erschien ein Mitarbeiter des Finanzamts M. -R. , Herr Q. , mit einem Durchsuchungsbeschluss an der Wohnanschrift des Klägers. Hintergrund war, dass er Pfändungen wegen Steuerrückständen bei dem Kläger vornehmen wollte. Im Verlauf der Maßnahme kontaktierte Herr Q. telefonisch über die Telefonnummer 110 den Beklagten und bat diesen um Unterstützung bei der Maßnahme. Er gab an, dass der Kläger sich trotz Vorliegens eines Durchsuchungsbeschlusses weigere, ihn, Herrn Q. , in sein Haus zu lassen. Der Einsatz wurde von den Beamt*innen des Beklagten POK B. , POK’in N. , KA K. und KA I. durchgeführt.
Im Vorgangssystem des Beklagten (IGVP) heißt es, dass die Beamt*innen in Amtshilfe tätig geworden seien. Der Kläger habe die Weigerung, Herrn Q. in sein Haus zu lassen, damit begründet, dass der Durchsuchungsbeschluss für ihn nicht gelte, da er Deutscher (Anmerkung im IGVP: Reichsbürger) sei. Der Kläger mache geltend, die Bundesrepublik Deutschland sei kein Staat, sondern eine Firma bzw. eine Verwaltung, weshalb ihre Gesetze für ihn keine Gültigkeit hätten. Er erkenne die Bundesrepublik Deutschland nicht an. Der Kläger sei zwecks Eigensicherung von den Beamten durchsucht worden, da er auf Anfrage angegeben habe, ein Messer mitzuführen. Der Kläger sei seit 2014 davon überzeugt, dass er Deutscher sei, wobei Deutscher in seinem Sinne Menschen mit preußischer Staatsangehörigkeit seien. Er definiere Menschen als mit Verstand und Sprachvermögen begabte Lebewesen, die im Mittelpunkt des von ihnen gestalteten Rechts stünden. Menschen in diesem Sinne hätten bestimmte grundlegende Rechte, welche abzugrenzen seien von den Rechten und Pflichten von „Personen“ der Bundesrepublik Deutschland. Personen seien nach Auffassung des Klägers Träger von Rechten und Pflichten. Die Polizei sei nur zuständig für Personen, Tiere und Sachen, aber nicht für Menschen. Daher könne das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland nicht auf preußische Bürger, d.h. Menschen wie den Kläger, angewendet werden. Die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland würden in Berlin verabschiedet. Da Berlin jedoch nicht zu Deutschland gehöre, seien diese ungültig. Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland sei Bonn.
Gemäß der weiteren Dokumentation im IGVP verhielt sich der Kläger gegenüber den Beamt*innen des Beklagten kooperativ und zugänglich. Die Beamten hätten im Rahmen der Amtshilfe festgestellt, dass der Kläger auf dem amtlichen Kennzeichen X-XX 000 seines PKWs das Nationalitätszeichen Deutschlands (D) mit einem Aufkleber des preußischen Adlers und einem „D“ überklebt habe. Der PKW habe sich im öffentlichen Verkehrsraum befunden. Das Kennzeichen sei von dem Beklagten asserviert, der PKW durch das Finanzamt beschlagnahmt worden. Im weiteren Verlauf hätten die Beamten zwei Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen X-XX 000 und X-XX 00, welche zur Entstempelung ausgeschrieben gewesen seien, vorgefunden. Um die dazugehörigen Zulassungsbescheinigungen Teil 1 sicherstellen zu können, seien sie vom Kläger in sein Haus gebeten worden.
Am 04.08.2017 vollstreckte der Obergerichtsvollzieher beim Amtsgericht M. , Herr P. , einen Vollstreckungshaftbefehl gegenüber dem Kläger. Bereits im Vorfeld, am 14.07.2017, hatte er den Beklagten für diese Maßnahme um Vollzugs-/Amtshilfe ersucht. Zur Begründung hatte er ausgeführt, dass der Kläger seine Identität abstreite und die Person des Gerichtsvollziehers nicht anerkenne. Bei dem Kläger handele es sich um einen sog. „Reichsdeutschen“ oder „Germaniten“. Für die anstehende Verhaftung des Klägers, auch für die Verbringung in die JVA X. , werde polizeiliche Unterstützung benötigt. Bei einem ersten Kontakt sei der Kläger in Begleitung eines unbekannten Gleichgesinnten gewesen. Aus anderen Fällen sei bekannt, dass fehlgeschlagene Einsätze der Polizei und der Gerichte im Internet verhöhnt und publiziert würden. Es sei daher unumgänglich, konsequent gegen den Kläger vorzugehen. Der Einsatz am 04.08.2017 wurde durch die Beamt*innen des Beklagten PHK A. , PHK C. , PHK L2. und PHK’in L3. durchgeführt.
Im IGVP des Beklagten ist dokumentiert, dass der Kläger den Beamt*innen die Tür öffnete, nachdem der Schlüsseldienst angefangen hatte, die Tür zu öffnen. Der Einsatz verlief ruhig, d.h. ohne weitere Vorkommnisse.
Am 23.01.2018 führten Mitarbeiter*innen des Finanzamts M. -R. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an der Wohnanschrift des Klägers durch. Im Vorfeld, am 02.01.2018, hatte Herr C1. vom Finanzamt mit einem Schreiben, das mit „Mögliche Gefährdung von Vollziehungsbeamten durch gefährliche oder gewaltbereite Vollstreckungsschuldner“ überschrieben war, das Polizeipräsidium M. darüber informiert, dass er mit einer Zwangsvollstreckungssache gegen den Kläger beauftragt sei und ihm tatsächliche Anhaltspunkte vorlägen, die Anlass für die Besorgnis gäben, dass es zu einem gewalttätigen Widerstand des Klägers kommen könnte, namentlich, weil der Kläger Reichsbürger sei. Herr C1. bat um Mitteilung, falls dem Polizeipräsidium M. personenbezogene Hinweise hinsichtlich des Klägers vorlägen und kündigte für den Fall, dass dies der Fall sei, an, die Notwendigkeit eines Vollzugs- bzw. Amtshilfeersuchens zu prüfen und ggf. die weiteren Maßnahmen mit dem Polizeipräsidium M. abzustimmen. An dem Einsatz vom 23.01.2018 waren die Beamten des Beklagten KHK S. und KHK T. beteiligt.
Im IGVP des Beklagten heißt es, dass Hinweise vorhanden seien, dass der Kläger der Reichbürgerbewegung angehöre. Der Kläger sei kurze Zeit nach Beginn der Maßnahme mit einer weiteren Person, Herrn E. X B1. , erschienen. Letzterer habe als unabhängiger Zeuge fungiert. Im Verlauf der Maßnahme hätten sich sowohl der Kläger als auch der Zeuge in reichsbürgertypischer Manier geäußert. Der Kläger habe unter anderem angegeben: „Sie haften als Privatperson. Das muss man ja nur einmal sagen.“ Gegen Ende der Maßnahme sei noch eine weitere Person, Herr C2. N1. , erschienen. Er habe sich als Richter am Internationalen Menschengerichtshof bezeichnet und sich mit einem entsprechenden Phantasieausweis ausgewiesen. Auch Herr N1. habe versucht, die Maßnahme in reichsbürgertypischer Manier zu unterbinden. Nachdem ihm klar zu verstehen gegeben worden sei, dass er eine Amtshandlung störe und das Haus verlassen solle, sei er der Forderung nachgekommen.
Der Kläger hat am 25.07.2018 Klage erhoben.
Er macht geltend, dass die Maßnahmen vom 21.11.2016, 04.08.2017 und 23.01.2018 rechtswidrig gewesen seien.
Zu der Maßnahme vom 21.11.2016 führt er aus, dass sein PKW mit dem Kennzeichen X-XX 000 nicht vom Finanzamt hätte gepfändet werden dürfen und dass die bei ihm durchgeführte Hausdurchsuchung gegen Art. 13 GG verstoßen habe, da der Durchsuchungsbeschluss keine richterliche Unterschrift getragen habe. Er habe den Mitarbeiter des Finanzamts, Herrn Q. , auf die formale Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses hingewiesen. Anstatt dem Kläger jedoch Gelegenheit zu geben, die Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses in einem formalen rechtlichen Verfahren klären zu lassen, habe Herr Q. sich telefonisch mit dem Beklagten in Verbindung gesetzt, mit den sinngemäßen Worten „Ich habe hier einen Reichsbürger! Aus diesem Grunde brauche ich Amtshilfe durch die Polizei!".
Zu der Maßnahme vom 04.08.2017 trägt der Kläger vor, dass der Beklagte den Obergerichtsvollzieher nicht durch Vollzugshilfe hätte unterstützen dürfen, da es sich bei diesem nicht um eine Amtsperson handele. Dies ergebe sich aus dem Beschluss des 9. Senats des OLG München vom 05.02.2013 (9 VA 17/12). Außerdem hätte es auch keine belastbaren Unterlagen gegeben, aus denen hervorgegangen wäre, dass der Kläger zu irgendwelchen Gewalttaten neige. Das Vollzugs-/Amtshilfeersuchen des Obergerichtsvollziehers an den Beklagten vom 12.07.2017 sei an Allgemeinplätzen nicht zu überbieten. Der Kläger sei auch kein sog. „Reichsdeutscher" oder „Germanit“. Er habe die Vollstreckungsmaßnahme vom 04.08.2017 im Übrigen mit seiner Handykamera filmen wollen. Die hinzugezogenen Polizeibeamten hätten ihn jedoch aufgefordert, das Filmen zu unterlassen und ihm mit einer Sistierung gedroht.
Zu der Maßnahme vom 23.01.2018 macht der Kläger geltend, dass ebenfalls keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass er, der Kläger, gewalttätigen Widerstand gegen die Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamts M. -R. leisten werde. Bei ihm handele es sich, wie bereits ausgeführt, auch nicht um einen „Reichsbürger“. Im Übrigen sei die Begründung „Reichsbürger“ ohne jede weitere Konkretisierung unzureichend, um ein Vollzugshilfeersuchen zu begründen. Er habe, um beweisfestes Material in die Hände zu bekommen und diese anzuprangern, die „Aktion" mittels Handykamera filmen wollen. Daraufhin habe Herr Q. ihm mit der sofortigen Verhaftung gedroht.
Der Beklagte hätte in allen drei vorgenannten Fällen das Amts-/ Vollstreckungshilfeersuchen ablehnen müssen. Es liege insofern ein Ermessensfehlgebrauch bzw. ein Ermessensausfall vor. Die Passivlegitimation des Beklagten sei damit zu bejahen. Auch eine Wiederholungsgefahr könne nicht ausgeschlossen werden.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die Mitwirkung des Polizeipräsidiums M. bei den Maßnahmen am 21.11.2016, 04.08.2017 und 23.01.2018 rechtwidrig gewesen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, dass er bei den hier streitigen Maßnahmen jeweils in Vollzugshilfe gemäß § 47 PolG NRW tätig geworden sei. Es sei unklar, welche Handlungen seiner Beamten*innen der Kläger konkret angreife. Die Polizei sei nach § 1 Abs. 3 und § 47 Abs. 1 PolG NRW zur Vollzugshilfe verpflichtet. Im Falle der Vollzugshilfe für Gerichtsvollzieher entscheide der Gerichtsvollzieher nach pflichtgemäßem Ermessen, ob er den Widerstand selbst überwinden wolle oder ob er sich polizeilicher Hilfe bediene. Die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung verbleibe bei dem Gerichtsvollzieher. Im Übrigen dürfte insbesondere hinsichtlich des Ereignisses vom 21.11.2016 Verwirkung eingetreten sein.
Das Gericht hat das Verfahren mit Beschluss vom 20.02.2019 insoweit abgetrennt und an das Finanzgericht M. verwiesen, als sich die Klage nicht gegen eigene Maßnahmen des hiesigen Beklagten, sondern gegen Maßnahmen des Obergerichtsvollziehers P. und des Finanzamts M. -R. richtet. Das Finanzgericht M. hat die Klage mit Urteil vom 19.09.2019 ( 6 K 652/19 FG L. ) abgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag des Klägers, festzustellen, dass die Mitwirkung des Polizeipräsidiums M. bei den Maßnahmen am 21.11.2016, 04.08.2017 und 23.01.2018 rechtwidrig gewesen ist, ist auf Grundlage seiner Klarstellungen in der mündlichen Verhandlung dahingehend auszulegen, dass er sowohl die Feststellung begehrt, dass der Beklagte nicht in Vollzugshilfe hätten tätig werden dürfen („Ob“), als auch, dass die Art und Weise der Durchführung der Vollzugshilfe rechtswidrig gewesen ist („Wie“).
Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig und statthaft.
1. Die Zulässigkeit der objektiven Klagehäufung ergibt sich aus § 44 VwGO.
Die Klagebegehren hinsichtlich der Maßnahmen vom 21.11.2016, 04.08.2017 und 23.01.2018 richten sich jeweils gegen denselben Beklagten, stehen zumindest in einem mittelbaren Zusammenhang zueinander und fallen in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts L. .
2. Die Klage ist als allgemeine Feststellungsklage statthaft, § 43 VwGO.
Das erforderliche qualifizierte Feststellungsinteresse liegt vor. Bei auf vergangene Rechtsverhältnisse bezogenen Feststellungsklagen wird ein besonderes, qualifiziertes Feststellungsinteresse gefordert. Es kann insoweit auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die von der Fortsetzungsfeststellungsklage her bekannt sind. Dies gilt insbesondere für die Fallgruppe der Wiederholungsgefahr,
vgl. Möstl in: Posser/Wolff, BeckOK, VwGO, 58. Edition Stand: 01.07.2021, § 43 Rn. 25.
Von einer Wiederholungsgefahr ist vorliegend auszugehen. Der Kläger streitet sich nach eigenen Angaben seit längerem über seine steuerrechtlichen Verpflichtungen mit dem Finanzamt M. -R. . In diesem Zusammenhang ist es auch zu den hier streitigen Maßnahmen, an denen die Beamt*innen des Beklagten beteiligt waren, gekommen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich entsprechende Situationen in Zukunft wiederholen.
3. Der Kläger verfügt auch über ein Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Klage. Er hat sein Klagerecht nicht verwirkt.
Der Beklagte macht geltend, dass insbesondere hinsichtlich des Ereignisses vom 21.11.2016 Verwirkung eingetreten sei. Dem ist im Ergebnis nicht zu folgen.
Nach dem auch im Verwaltungsrecht geltenden, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ableitbaren Rechtsgedanken der Verwirkung kann ein*e Kläger*in sein*ihr Recht zur Erhebung der Klage nicht mehr ausüben, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten (Umstandsmoment), die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.06.2010 – 6 B 86.09 – juris, Rn. 11; VG Augsburg, Urteil vom 17.01.2018 – 6 K 17.1736 – beck online.
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Dies zugrunde gelegt ist nicht von einer Verwirkung auszugehen.
Die Maßnahme vom 21.11.2016 lag im Zeitpunkt der Klageerhebung zwar schon mehr als 1,5 Jahre zurück, sodass das Zeitmoment zu bejahen sein dürfte (vgl. dazu auch § 58 Abs. 2 VwGO). Allerdings sind besondere Umstände, die die verzögerte Geltendmachung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Die Mitwirkung des Beklagten an den in Streit stehenden Maßnahmen des Finanzamts M. -R. und des Obergerichtsvollziehers P. vom 21.11.2016, 04.08.2017 und 23.01.2018 war rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für das Tätigwerden des Beklagten im Rahmen der Maßnahme vom 21.11.2016 ist § 47 Abs. 1 PolG NRW.
Danach leistet die Polizei anderen Behörden auf Ersuchen Vollzugshilfe, wenn unmittelbarer Zwang anzuwenden ist und die anderen Behörden nicht über die hierzu erforderlichen Dienstkräfte verfügen oder ihre Maßnahmen nicht auf andere Weise selbst durchsetzen können. Nach § 47 Abs. 2 PolG NRW ist die Polizei im Falle der Vollzugshilfe nur für die Art und Weise ihrer Durchführung verantwortlich.
Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden des Beklagten in Vollzugshilfe lagen vor.
Der Beklagte wurde von dem Finanzamt M. -R. am 21.11.2016 um Vollzugshilfe ersucht. Dass dies nicht schriftlich geschehen ist, ist unschädlich, da ein Eilfall im Sinne des § 48 Abs. 2 PolG NRW vorlag.
Es bestand auch ein hinreichender Anlass für das Vollzugshilfeersuchen.
Ein Ersuchen an die Polizei um Vollzugshilfe zwecks Anwendung unmittelbaren Zwangs ist bereits dann gerechtfertigt, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Betracht kommt, z.B. aufgrund vergangener Erfahrungen. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs muss dabei nicht unmittelbar bevorstehen.
Vgl. Keller in: Möstl/Kugelmann, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 19. Edition Stand: 01.09.2021, § 47 PolG NRW Rn. 33.
Hier lag eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass unmittelbarer Zwang zur Durchführung der Pfändung erforderlich werden würde, zweifellos vor.
Der Kläger hatte dem Mitarbeiter des Finanzamts M. -R. , Herrn Q. , gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass er die Pfändung und den gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss für rechtswidrig hielt. Zur Begründung hatte er dabei nach der Dokumentation im IGVP des Beklagten, welcher der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten ist, insbesondere ausgeführt, dass der Durchsuchungsbeschluss für ihn nicht gelte, da er „Deutscher“ sei. Die Bundesrepublik Deutschland sei kein Staat, sondern eine Firma bzw. eine Verwaltung, weshalb die Gesetze der Bundesrepublik für ihn, den Kläger, keine Gültigkeit hätten. Er erkenne die Bundesrepublik Deutschland nicht an. Nach seinem Verständnis seien „Deutsche“ Menschen mit preußischer Staatsangehörigkeit. Er definiere Menschen als mit Verstand und Sprachvermögen begabte Lebewesen, die im Mittelpunkt des von ihnen gestalteten Rechts stünden. Menschen in diesem Sinne hätten bestimmte grundlegende Rechte, welche abzugrenzen seien von den Rechten und Pflichten von „Personen“ der Bundesrepublik Deutschland. Personen seien Träger von Rechten und Pflichten. Die Polizei sei nur zuständig für Personen, Tiere und Sachen, aber nicht für Menschen. Daher könne das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland nicht auf preußische Bürger, also Menschen wie den Kläger, angewendet werden. Die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland würden in Berlin verabschiedet. Da Berlin jedoch nicht zu Deutschland gehöre, seien diese ungültig. Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland sei Bonn.
Diese Angaben des Klägers ließen den Rückschluss zu, dass er der Ideologie der Reichsbürgerbewegung entsprechend die Existenz der Bundesrepublik Deutschland bzw. deren Rechtsordnung ablehnt und den Repräsentant*innen des Staates, insbesondere dem Mitarbeiter des Finanzamts, die Legitimation abspricht,
Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 26.06.2019 – 20 B 822/18 –, juris; Beschluss vom 05.07.2018 – 20 B 1624/17 – juris; Beschluss vom 20.10.2021 – 20 A 4361/19 –; Verfassungsschutzbericht 2020 des Bundes, Seite 4, 32 f., 111 ff.; Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2020, Seite 118 ff.
Diese Einschätzung steht auch im Einklang mit dem Eindruck, den die in der mündlichen Verhandlung thematisierte Homepage des Klägers und seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung, insbesondere zur (Un-)Gültigkeit des Einkommensteuergesetzes, vermittelt haben.
Bei dieser Ausgangslage durften der Mitarbeiter des Finanzamts M. -R. und die Beamt*innen des Beklagten davon ausgehen, dass der Kläger die Durchsetzung des Durchsuchungsbeschlusses und die Durchführung der Pfändung durch Herrn Q. nicht ohne Weiteres ermöglichen werde und dass unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung der Durchsuchung und der Pfändung notwendig werden könnte.
Das Finanzamt M. -R. verfügte nicht über die erforderlichen Dienstkräfte für die Anwendung unmittelbaren Zwangs und konnte die Maßnahme, d.h. die Umsetzung des Durchsuchungsbeschlusses und der anschließenden Pfändung, nicht auf andere Weise selbst durchsetzen.
Liegen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 PolG NRW – wie hier – vor, ist die Polizei grundsätzlich verpflichtet, Vollzugshilfe zu leisten. Es handelt sich, anders als der Kläger meint, nicht um eine Ermessensentscheidung der Polizei.
Vgl. Keller in: Möstl/Kugelmann, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 19. Edition Stand: 01.09.2021, § 47 PolG NRW Rn. 35.
Ferner ist die Polizei nach § 47 Abs. 2 PolG NRW nur für die Art und Weise der Durchführung der Vollzugshilfe, d.h. für die Wahl des Zwangsmittels sowie die Art und Weise seiner Anwendung, verantwortlich. Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme, deren Vollzug sie mit der Vollzugshilfe ermöglicht, nimmt sie dabei grundsätzlich nicht vor.
Vgl. Keller in: Möstl/Kugelmann, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 19. Edition Stand: 01.09.2021, § 47 PolG NRW Rn. 47.
Eine Verpflichtung der Polizei, Vollzugshilfe zu verweigern, dürfte allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die Maßnahme, für deren Durchführung Vollzugshilfe erbeten wird, derart offensichtlich und eklatant rechtswidrig ist, dass die Vollzugshilfe zu einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips führen würde. Ein solcher Fall lag hier aber nicht vor. Insbesondere musste der Beklagte weder prüfen, ob der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss, den Herr Q. mitführte, formell rechtmäßig war, noch, ob ein Verstoß gegen Pfändungsvorschriften vorlag.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, dass Herr Q. den Beklagten erst nach einem ersten gescheiterten Vollstreckungsversuch hätte hinzuziehen dürfen, ist dem nicht zu folgen. Wie dargestellt, durften Herr Q. und der Beklagte auf der Grundlage der Äußerungen des Klägers und seines Rechtsstandpunktes, dass der Durchsuchungsbeschluss rechtswidrig sei, davon ausgehen, dass die Durchführung der Durchsuchung und der Pfändung ohne unmittelbaren Zwang bzw. ohne die Anwesenheit von Polizeibeamt*innen nicht möglich sein würde.
Auch die Art und Weise der Durchführung der Vollzugshilfe durch die Beamt*innen des Beklagten ist nicht zu beanstanden.
Dass sie gegenüber dem Kläger unmittelbaren Zwang angewendet hätten, ist schon nicht vorgetragen.
Sollte sich der Kläger auch gegen die Beschlagnahme seines PKW-Kennzeichens X-XX 000 und die Sicherstellung der Zulassungsbescheinigungen Teil I zu den PKWs mit den Kennzeichen X-XX 000 und X-XX 00 wenden, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesen Maßnahmen um strafprozessuale Maßnahmen handelt, für deren Überprüfung das Verwaltungsgericht nicht zuständig ist. Das Kennzeichen X-XX 000 wurde ausweislich des IGVP-Eintrags des Beklagten wegen des Verdachts der Verwirklichung des Straftatbestands der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) beschlagnahmt und asserviert, die Zulassungsbescheinigungen Teil 1 zu den PKWs mit den Kennzeichen X-XX 000 und X-XX 00 wegen des Verdachts auf eine Straftat nach § 6 PflichtVersG.
2. Rechtsgrundlage für das Tätigwerden des Beklagten im Rahmen der Maßnahme des Obergerichtsvollziehers P. vom 04.08.2017 ist ebenfalls § 47 Abs. 1 PolG NRW.
Auch bei dieser Maßnahme lagen die Voraussetzungen für ein Tätigwerden des Beklagten in Vollzugshilfe gemäß § 47 Abs. 1 PolG NRW vor.
Bei dem Obergerichtsvollzieher P. handelte es sich zunächst, anders als der Kläger meint, um eine „andere Behörde“ im Sinne des § 47 Abs. 1 PolG NRW, die Vollzugshilfe durch die Polizei beanspruchen kann.
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Andere Behörden i.S.v. § 47 Abs. 1 PolG NRW sind alle Behörden außerhalb der Polizei. Die ersuchende Stelle muss eine Behörde i.S.d. § 1 Abs. 2 VwVfG NRW sein, d.h. sie muss Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Der Behördenbegriff in § 47 Abs. 1 PolG NRW ist weit auszulegen.
Vgl. Keller in: Möstl/Kugelmann, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 19. Edition Stand: 01.09.2021, § 47 PolG NRW Rn. 29 f.
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Danach ist der Obergerichtsvollzieher eine andere Behörde. Er nimmt Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr. Aus der vom Kläger zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 05.02.2013 (– 9 VA 17/12 –, juris) ergibt sich nichts anderes. Sie betrifft bereits einen vollkommen anderen Themenkomplex.
Der Beklagte war von dem Obergerichtsvollzieher P. vorab schriftlich um Vollzugshilfe ersucht worden (§ 48 Abs. 1 PolG NRW).
Es bestand schließlich ein hinreichender Anlass für das Vollzugshilfeersuchen.
Es lagen Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Anwendung unmittelbaren Zwangs zum Zwecke der Inhaftierung des Klägers notwendig werden könnte. Der Kläger sieht den Obergerichtsvollzieher nach eigenen Angaben nicht als Amtsperson an. Dies war dem Obergerichtsvollzieher vor der Maßnahme vom 04.08.2017 auch bekannt. Hintergrund ist, dass der Kläger, wie dargestellt, mit der Reichsbürgerideologie sympathisiert. Sowohl dem Obergerichtsvollzieher als auch dem Beklagten lagen im maßgeblichen Zeitpunkt des Vollzugshilfeersuchens entsprechende konkrete Anhaltspunkte vor; diese haben sich, wie dargestellt, in der mündlichen Verhandlung sogar noch verdichtet. Der Obergerichtsvollzieher und der Beklagte mussten im Zeitpunkt des Vollzugshilfeersuchens mithin davon ausgehen, dass der Kläger die Autorität staatlicher Stellen nicht uneingeschränkt anerkennt. Vor diesem Hintergrund war mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Inhaftierung des Klägers notwendig werden würde.
Der Obergerichtsvollzieher P. verfügte nicht über die erforderlichen Dienstkräfte für die Anwendung unmittelbaren Zwangs und konnte die Maßnahme, d.h. die Verhaftung des Klägers, nicht auf andere Weise selbst durchsetzen.
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 PolG NRW ist die Polizei, wie dargestellt, grundsätzlich verpflichtet, Vollzugshilfe zu leisten. Die Maßnahme des Obergerichtsvollziehers, die auf § 802g ZPO beruhte, war auch nicht derart offensichtlich und eklatant rechtswidrig, dass der Beklagte die Vollzugshilfe ausnahmsweise hätte verweigern müssen.
Auch gegen die Art und Weise der Durchführung der Vollzugshilfe durch die Beamt*innen des Beklagten ist nichts zu erinnern.
Zu einer Anwendung unmittelbaren Zwangs durch den Beklagten ist es bei der Maßnahme schon nicht gekommen.
Soweit der Kläger geltend macht, dass die Beamt*innen des Beklagten ihm nicht hätten verbieten dürfen, die Maßnahme zu filmen, dürfte dies – unabhängig von der Frage, ob dieser Punkt überhaupt Gegenstand der Klage sein soll – rechtlich nicht zutreffen. Die Beamt*innen des Beklagten mussten angesichts der Gesamtumstände, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger nach in der Vergangenheit erlangten Erkenntnissen an der Publikation von Polizeieinsätzen im Internet beteiligt war, mit einer späteren Verbreitung der Aufnahmen durch den Kläger rechnen. Eine solche stellt ohne eine Einwilligung (§ 22 KUG) oder eine Ausnahme vom Einwilligungserfordernis (§ 23 KUG), die hier nicht ersichtlich war, eine Straftat gemäß § 33 KUG dar, deren Verwirklichung es unter gefahrenabwehrrechtlichen Gesichtspunkten zu verhindern galt.
3. Der Einsatz des Beklagten vom 23.01.2018 findet seine Rechtsgrundlage in §§ 1, 3, PolG NRW und nicht in § 47 Abs. 1 PolG NRW.
Nach § 1 Abs. 1 PolG NRW hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten sowie vorbeugend zu bekämpfen und die erforderlichen Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen zu treffen. Nach § 3 Abs. 1 PolG NRW trifft sie ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen.
Die Beamt*innen des Beklagten wohnten der Maßnahme des Finanzamts M. -R. vom 23.01.2018 nicht zum Zwecke der Vollzugshilfe, sondern zur Abwehr von (potentiellen) Gefahren für die Mitarbeiter*innen des Finanzamtes bei.
Das Schreiben des Finanzamtsmitarbeiters Herrn C1. vom 02.01.2018 stellte kein Vollzugshilfeersuchen im Sinne des § 48 PolG NRW dar. Dies ergibt sich einerseits daraus, dass Herr C1. in seinem Schreiben gerade nicht die Durchsetzung der für den 23.01.2018 geplanten Vollstreckungshandlungen gegenüber dem Kläger, sondern die Abwehr von Gefahren für die Mitarbeiter*innen des Finanzamtes in den Vordergrund stellte, andererseits daraus, dass er ein Vollzugs- bzw. Amtshilfeersuchen ausdrücklich nur ankündigte.
Die Schutzgewährung zugunsten von Vollstreckungsdienstkräften anderer Behörden, die Vollstreckungshandlungen vornehmen (Gerichtsvollzieher*innen, Vollzugsbeamt*innen der Ordnungsbehörden), ist weder Amts- noch Vollzugshilfe. Zwar verpflichten z.B. die § 758 Abs. 3 ZPO, § 87 Abs. 3 FamFG und § 65 Abs. 2 VwVG NRW die Polizei, den Vollzugs- bzw. Vollstreckungskräften im Falle von Widerstand Schutz zu gewähren. Der Schutz z.B. des*der Gerichtsvollziehers*in vor Angriffen ist gleichwohl originäre polizeiliche Aufgabe. Bei dieser Schutzgewährung werden Gefahren für Leib und Leben abgewehrt und damit Straftaten verhütet. Das ist ein originärer gefahrenabwehrender Auftrag der Polizei (§ 1 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 PolG NRW). Nur wenn unmittelbarer Zwang zur direkten Durchsetzung der Vollzugs- bzw. Vollstreckungshandlung angewendet wird, liegt Vollzugshilfe i.S.d § 47 PolG NRW vor,
vgl. Keller in: Möstl/Kugelmann, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 19. Edition Stand: 01.09.2021, § 47 PolG NRW Rn. 29 f.
Dies zugrunde gelegt, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der von dem Beklagten am 23.01.2018 durchgeführten Maßnahmen nicht nach § 47 Abs. 1 PolG NRW, sondern nach den gefahrenabwehrrechtlichen Vorschriften des Polizeigesetzes NRW.
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass es zu konkreten (gefahrenabwehrrechtlichen) Maßnahmen der Beamt*innen des Beklagten gegenüber dem Kläger gekommen ist. Die bloße Tatsache, dass sich die Beamt*innen des Beklagten am 23.01.2018 während des Einsatzes des Finanzamts M. -R. an der Wohnanschrift des Klägers einfanden, um im Falle einer konkreten Gefahr für die Mitarbeiter*innen des Finanzamts Schutzmaßnahmen ergreifen zu können, stellt noch keinen Eingriff in die Rechte des Klägers dar. Insofern ist der Beklagte lediglich seinem allgemeinen Schutzauftrag nach § 1 PolG NRW nachgekommen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.