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Der Ärger mit der »Gummistiefel-Fraktion«
Vor ihrem Bundesparteitag wollen sich die Freien Wähler geschlossen zeigen. Doch in Niedersachsen tobt ein Richtungskampf. Einige Landwirte wollen die Brandmauer zur AfD einreißen.
Auf ihn haben sie gewartet. Als Anthony Lee vor gut einer Woche in Bielefeld die Bühne betritt, klatscht und pfeift die Menge, Trommelschläge sind zu hören.
Ein Jahr sei es her, dass er auf einer Demo gesprochen habe, sagt Lee. Damals stand der Landwirt als Mitorganisator der Bauernproteste im Rampenlicht. Heute spricht er bei einer Veranstaltung des rechten Bündnisses »Bielefeld steht auf«. Und er ist gut drauf.
Seit Donald Trump die Wahl in den USA gewonnen habe und die Ampelkoalition zerbrochen sei, stehe ihm das Grinsen im Gesicht, sagt Lee. Jetzt müsste die »Brandmauer« eingerissen werden »und dann können wir dieses Land wieder auf Vordermann bringen.« Als einzige Option sehe er dafür eine Koalition zwischen Union und AfD.
Auch seine eigene Partei verschweigt Lee auf der Bühne nicht: die Freien Wähler. Jene Partei, die hofft, mit ihrem Chef Hubert Aiwanger in den nächsten Bundestag einzuziehen. Und für die Lees Auftritt nun zum Problem geworden ist.
An diesem Samstag hält die Partei ihren bundesweiten Parteitag im bayerischen Geiselwind ab. Sie will sich für den Wahlkampf in Stellung bringen. Ein Einzug in den Bundestag dürfte für sie nur möglich sein, wenn sie mindestens drei Direktmandate holt.
Doch in letzter Zeit lief es nicht gut für die Freien Wähler. Nach ihrem Erfolg bei der Landtagswahl in Bayern hatten sie sich gute Chancen ausgerechnet, auch in Hessen in den Landtag zu kommen, doch sie verpassten den Einzug. Bei der Europawahl holten sie deutlich weniger Stimmen als erwartet. In Brandenburg büßte die Partei ihren Fraktionsstatus ein, weil ein Abgeordneter zur AfD wechselte. In Rheinland-Pfalz löste sich die Fraktion im parteiinternen Machtkampf auf.
Nun tobt auch noch in Niedersachsen ein Richtungsstreit. Im Kern geht es um die Frage, ob die Freien Wähler offen sein sollen für Koalitionen mit der AfD. Ehemalige und aktuelle Parteimitglieder in Niedersachsen sprechen von einer »feindlichen Übernahme« des Landesverbandes durch »zum Teil rechtsgerichtete Landwirte«.
Was ist da los?
Zur Zeit der Bauernproteste 2023 und Anfang 2024 traten viele Landwirte bei den Freien Wählern ein. Damals demonstrierten Bauern in ganz Deutschland gegen die Kürzung von Agrarsubventionen und gegen die Ampel.
In Niedersachsen verdoppelte sich die Mitgliederzahl der Freien Wähler im Vergleich zu 2022 nahezu, mittlerweile zählt der Landesverband über 600 Mitglieder. Eine durchaus positive Entwicklung, heißt es aus der Partei. Allerdings seien mit den neuen Mitgliedern auch solche eingetreten, die die Freien Wähler gern weiter rechts sehen würden.
Einige wünschen sich etwa eine stärkere Orientierung an der niederländischen Bauern- und Bürgerbewegung »Boer Burger Beweging«, auch »BBB« genannt. Sie gilt als populistisch und europaskeptisch.
Zu denen, die sich an der BBB orientieren wollen, gehört Christian Lohmeyer. Er ist Landwirt und seit drei Wochen Beisitzer im niedersächsischen Landesvorstand der Freien Wähler. Auch beim »Landvolk Mittelweser«, einer Interessenvertretung der Landwirte, sitzt er im Vorstand, organisierte die Bauernproteste mit.
Am Montagmittag muss sich Lohmeyer eigentlich gerade auf den Weg machen, um seine Kinder von der Schule abzuholen, erzählt er am Telefon. Dass seine Frau und er das mit dem Auto machen müssten, sei eines der Probleme der Menschen auf dem Land: die schlechte Anbindung.
Um als Partei erfolgreich zu sein, müssten die Sorgen der Menschen vom Land auch in der Stadt ankommen, sagt Lohmeyer. So wie in den Niederlanden. Dort erzielte die BBB im vergangenen Jahr beachtliche Wahlerfolge, mittlerweile regiert sie in einer Koalition unter anderem mit der Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders.
Im April 2023 rief Christian Lohmeyer deshalb seine Berufskollegen dazu auf, aus Solidarität mit der niederländischen BBB Gummistiefel auf Zaunpfähle zu stecken. Die Gummistiefel sind seitdem auch zum Zeichen einer Gruppierung Gleichgesinnter innerhalb der Freien Wähler geworden: der »Gummistiefel-Fraktion«. In anderen Landesvereinigungen, wie in Hessen, gibt es solche Zusammenschlüsse inzwischen ebenfalls.
Und Gummistiefel waren auch auf einem Flyer abgebildet, der im August die Runde innerhalb der Landespartei Niedersachsen machte und für massive Unruhe sorgte. Auf der ersten Seite prangte das sonnige Logo der Freien Wähler, auf der zweiten waren zwei kleine grüne Gummistiefel abgebildet, falsch herum auf einen Stiel gesteckt.
Der Flyer gab Wahlempfehlungen für die anstehenden Vorstandswahlen auf dem Landesparteitag am 26. Oktober. Anthony Lee war unter den Vorgeschlagenen, ebenso wie Christian Lohmeyer und der Tierarzt Horst Gaumann.
Daneben listete der Flyer sieben geplante Anträge zum Landesparteitag auf. Ganz oben stand: »Keine Brandmauern, sondern Kommunikation mit jedem, der vom Bundeswahlleiter zu einer demokratischen Wahl zugelassen ist.« Reden also mit der AfD?
Eine Zusammenarbeit mit der AfD hatten die Freien Wähler bei ihrem Parteitag in Bitburg im Februar ausgeschlossen. 92 Prozent der 445 Teilnehmer stimmten einem Antrag zu, der eine Kooperation mit der in Teilen rechtsextremen Partei verbietet. Trotzdem wurden auf dem niedersächsischen Landesparteitag im Oktober fast alle Personen in den Vorstand gewählt, die auf dem umstrittenen Flyer vorgeschlagen worden waren.
Es sei ein »abgekartetes Spiel« gewesen, klagen die Freien Wähler Hildesheim nach dem Parteitag auf Facebook. In einer »beispiellosen Aktion« sei die Landespartei von der »Gummistiefel-Fraktion« übernommen worden. Mitglieder, die der Gummistiefel-Gruppe nahestehen, hätten sich kurzfristig und in großer Zahl zum Parteitag angemeldet und ihre Wahlvorschläge so gesetzt, dass sie fast alle Wahlen in ihrem Sinne entscheiden konnten.
Nach dem Parteitag legten mehrere Mitglieder ihre Ämter nieder, einige traten gar aus der Partei aus.
»Die Geschehnisse in Niedersachsen werden Nachwirkungen haben, die wir spüren werden«
Gregor Voht, Generalsekretär der Freien Wähler
Anfang November sitzt Horst Gaumann, der neue Vorsitzende der Freien Wähler in Niedersachsen, an seinem Küchentisch. Schokolebkuchen in Herzform stehen darauf, daneben liegen aufgeschlagene Ordner mit Gesetzestexten. Gaumann, 59, ist Tierarzt, Geschäftsführer und Gesellschafter mehrerer Unternehmen. Doch dort habe er sich weitgehend zurückgezogen, sagt er, er studiere jetzt Jura im Fernstudium. Gaumann spricht mit rauer Stimme, leise, bedacht. Eine Zusammenarbeit mit der AfD lehnt er ab.
Warum ließ er sich mit Stimmen aus der »Gummistiefel-Fraktion« zum Vorsitzenden machen? Er sei als »Mediator« gewählt worden, sagt Gaumann. Als Mann zwischen den Stühlen. »So richtig vertraut mir vielleicht keine Seite, aber so richtig rechnet mich auch keine Seite der anderen zu.«
Er sehe die Stärke der Freien Wähler darin, nicht ideologisch zu sein. Vom Problem her zu denken, pragmatisch zu sein. »Das passt zu meinem Denken«, sagt Gaumann. Ein Kooperationsverbot mit der AfD unterstütze er. »Mit völkischem und nationalistischem Gedöns kann ich nichts anfangen.«
Die Freien Wähler Niedersachsen müssten sich entscheiden, wo sie hinwollen, sagt Gaumann. »Wir brauchen einen Grundkonsens im Inneren.«
Zumindest in Niedersachsen gibt es den aber nicht, das zeigte nun die Rede des Landwirts Lee in Bielefeld. Er war niedersächsischer Spitzenkandidat der Freien Wähler bei der Europawahl und fiel schon häufiger mit extrem rechten Aussagen auf. Dass er sich für Koalitionen mit der AfD aussprach, brachte für den Vorsitzenden Gaumann das Fass zum Überlaufen.
Am Dienstag veranlasste Gaumann ein Parteiordnungsverfahren gegen Lee – auch wenn er sich anfangs nicht sicher war, ob es Erfolg haben würde. Der Landesvorstand stimmte zu. Welche Konsequenzen das für Lee haben kann, ist aber bislang offen. Er hat nun erst mal zwei Wochen Zeit, sich dazu zu äußern.
Auch deshalb sieht Lee selbst die Sache »ganz entspannt«, sagt er am Telefon. Das Verfahren sei noch nicht durch und er sei sich der Rückendeckung des Landesvorstandes sicher. »Man wollte mich kaltstellen – aber das hat man nicht geschafft.«
»Die Geschehnisse in Niedersachsen werden Nachwirkungen haben, die wir spüren werden«, sagt Gregor Voht, Generalsekretär der Bundespartei. Der Bundesvorstand unterstütze das Parteiordnungsverfahren gegen Anthony Lee, dieses sei nach dem Demoauftritt »dringend geboten gewesen«. Kurz vor der Bundestagswahl wollen die Freien Wähler Geschlossenheit zeigen. Doch auf dem Parteitag dürfte der Richtungsstreit von Niedersachsen mindestens hinter den Kulissen Thema sein.