Dann müssten wir auch ein Faden zur Bibel, Gott, Jesus, dem römischen Recht, dem Papst und Julius Cäsar eröffnen.
Wäre nicht schlecht.
Der Zeithistoriker Götz Aly kommentiert den Zweck aus der Sicht des Historikers:
Götz Aly
Der KZ-Wächter Bruno D. und wir Deutsche
Welche Lehren zieht man aus den NS-Verbrechen? Die Kinder zu Widerständlern erziehen? Die NSDAP war eine Widerstandsbewegung. Und auch der IS und die AfD predigen Widerstand.
28.7.2020 - 06:53, Götz Aly
Spoiler
Berlin
Am vorigen Freitag bat mich die ARD-Tagesthemenredaktion, „historisch einzuordnen“. Doch in der Sendung blieb davon nur ein Satzfetzen übrig. Womöglich hatte ich zu kompliziert oder zu ungemütlich „eingeordnet“, nämlich so: 1960/70 wäre Bruno D. niemals angeklagt worden. Doch seit ein paar Jahren werden einige hochbetagte Männer wegen Beihilfe zum Mord vor Gericht gestellt, auch wenn sie lediglich in der Schreibstube oder auf Wachtürmen eines KZs saßen.
Gut so. Aber was wäre gewesen, wenn österreichische, ost- und westdeutsche Staatsanwälte in den 1960er-Jahren derart streng vorgegangen wären? Dann hätten sie rund 300.000 Männer und einige Zehntausend Frauen wegen Beihilfe zum Mord anklagen und insgesamt auf mehrere Millionen Jahre Zuchthaus plädieren müssen. Die arbeitsteilig organisierten Mordapparate waren sehr personalintensiv. Nimmt man die Größe eines Familienkreises mit 30 Personen an (Eltern, Geschwister, Kinder, Cousins und Cousinen, Großeltern, Tanten und Onkel), dann hatte damals jede siebte deutsche und österreichische Großfamilie einen Juden- oder KZ-Mörder oder -Mordgehilfen in ihrer Mitte. So viel Wahrheit ertrugen die Nachfolgegesellschaften Hitlerdeutschlands nicht. Bis heute verlagern sie die Schuld bevorzugt auf Firmen, den Staat und auf möglichst wenige, möglichst ferne Personen.
In dieser Rechnung fehlen noch Hunderttausende Kriegsverbrechen, die aus der Mitte von 18 Millionen Wehrmachtssoldaten vor allem in Polen und in der Sowjetunion verübt wurden. Dazu gehören die Morde an mehr als zwei Millionen gefangenen Rotarmisten: in Lagern, auf Märschen oder gleich an der Front; dazu zählen die Hungerblockaden und das Abbrennen Zehntausender Dörfer und Städte bei Eiseskälte. In den Befehlsstäben der Wehrmacht, der SS und den KZs arbeiteten Zehntausende unternehmungslustige junge Frauen (Stabshelferinnen): Sie tippten Befehle und Deportationslisten, stenographierten auf der Wannsee-Konferenz, orderten das Giftgas Zyklon B auf offenen Postkarten beim Hersteller. Gegen sie wurde niemals ermittelt. Bezieht man sie alle ein, dann hat jede dritte heutige Familie, die seit mindestens drei Generationen in Deutschland lebt, einen meist unerkannten, aber aus den Fotoalben wohlbekannten Kriegsverbrecher oder Mordgehilfen in ihren Reihen.
So genau wollen das die meisten nicht wissen. Stattdessen setzen sie sich als die besseren Menschen in Szene – so auch die junge Kommentatorin in besagter Tagesthemensendung. Schneidig peitschte sie auf den 1944 siebzehnjährigen Bruno D. ein und verkündete, ihre Lehre aus den NS-Verbrechen sei, „Kinder großzuziehen, die Widerstand leisten“. Wie kann man so einfältig sein? Die NSDAP erstarkte als soziale Bewegung des Widerstands – gegen „Versailler Diktat“, „Verjudung“, „die Roten“, „das Weimarer System“ und bürgerliche Normen. Widerstand predigen der IS und die AfD. In der Erziehung kommt es auf eine menschenfreundliche, liberale Grundhaltung an. Zudem sollte der Mut junger Leute gekräftigt werden, zuallererst unter Kollegen und Freunden dann Nein zu sagen, wenn Recht, Anstand und Moral aufgeweicht werden.
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/der-kz-waechter-bruno-d-und-wir-deutsche-li.95318(Stelle ich mal hier ein, obwohl es mehr zum Stutthof-Verfahren gehört.)
Wäre noch zu ergänzen, daß die NSDAP auch eine Partei war, die die Jungen frühzeitig an hohe Positionen bringen wollte und die gegen "die Alten" agitierte, die die Stellen "blockierten".
Eine Position - so gutmeinend sie auch ist - heute leider nicht nur in rechtsorientierten Parteien vertreten wird.
Erschreckend war, daß zwischen den Artikeln vom Montag letzter Woche, dem Tag des Letzten Wortes des Angeklagten, und dem Donnerstag, dem Tag der Urteilsverkündung, die Kommentare unter den Artikeln in FB nicht abrissen. Normalerweise kommt noch am Tag danach ein Nachklapp und das war's dann.
Nicht wenige der Kommentatoren bezogen sich explizit auf unsere Kundschaft afd oder hatten irgendwelche Flaggen früherer deutscher Staaten im Profil bzw. Avatar. Ganz offen wurde mehrfach die Hoffnung ausgesprochen, wenn die afd drankäme, dann sei es aber vorbei mit diesen "Schauprozessen" (!). Logisch. Rummaulen, die derzeitigen Verfahren seien politisch motiviert durch linksrotgrünjüdischversiffte Staatsanwälte und Richter, dann aber genau von einer Partei zu erwarten, die Verfahren einzustellen ...
Die fühlten sich ganz offensichtlich angesprochen und betroffen - darunter viele Frauen, gerade auch jüngere.
Häufiger Tenor war "habt Ihr nichts besseres zu tun?/gibt es nichts Wichtigeres?" (Etwas Wichtigeres als den Mord an einem Menschen? Was haben diese Leute im Hirn?) oder "das war sein Job!" (sic!) bzw. "er handelte nur auf Befehl" (es ist also nicht schlimm, einen Menschen auf Befehl zu ermorden, man kann das "jobmäßig" machen?).
(Schon länger habe ich mich von einem früheren Bekannten getrennt und seit 2015 keinen Kontakt mehr zu ihm. Eigentlich ein netter Kerl, hatte ich immer das Gefühl, ein wenig schlicht, aber sonst recht freundlich, seine Freundin eine Äthiopierin, es gibt eine gemeinsame Tochter, ein wirklich süßes Kind. Dann kommt 2015 und er fängt an, auf alle Migranten zu schimpfen, die wollen Deutschland ja nur aussaugen, wenn einer seine Freundin antanzt, dann kann der aber was erleben! Seiner Freundin an den Po zu fassen, ist schlimmer als 10.000 Menschen zu ermorden. Inzwischen heftigster afd-Wähler, was ich von ihm in Foren so lese, mit dem gleichen Unsinn von Art. 146 wie wir ihn zur Genüge kennen. Diese Leute merken gar nicht, was sie selbst für wandelnde Widersprüche sind! Für ihn, als Anhänger der Rechtsstaatspartei, sind die Prozesse natürlich alle politisch motiviert, von Merkel angeordnet ... etc etc).
Unsere Kundschaft stellt diese Bezüge her.
Sie selbst fühlt sich angesprochen und betroffen. Warum auch immer.