Unterstellt, dass der Spiegel nicht total falsch recherchiert hat, ist wieder einmal klar, warum Frau Dyck zur "Reichsbürgerin" geworden ist. Gescheitertes Leben, gescheiterte Existenz und weniger als gar kein Erfolg. Am wenigsten mit der "Nachhilfeschule".
Spoiler
Unterricht in Hamburg Nachhilfe wie bei den "Reichsbürgern"
Der Verfassungsschutz warnt: Eine Hamburger Nachhilfeschule verbreite Inhalte, die der "Reichsbürger"-Szene zuzurechnen sind. Nachbarn beschreiben die Betreiberin als Verschwörungstheoretikerin.
© Christian O. Bruch/ laif
Von Heike Klovert
Dienstag, 21.03.2017 15:33 Uhr
Es ist eine Homepage, die in den Augen schmerzt: In grell roten, weißen und türkisfarbenen Buchstaben wirbt die Hamburger Nachhilfeschule Dyck im Internet mit "Einzelunterricht in allen Schulfächern" - und nicht nur damit.
Geplant sei auch Nachhilfe zur "CO2-Lüge", zu "elektromagnetischer Strahlung als Waffe", zu "Zwangsimpfung" und "Chemtrails". Außerdem fordert Schulleiterin Martina Dyck "massiven Widerstand gegen die US-gesteuerte Diktatur der Vereinigten Staaten von Europa", ein "ewiges Bruderbündnis mit Russland" sowie einen Boykott der Rundfunkgebühren.
Die extremen Ansichten haben den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen. Der teilte am Samstag mit, die Homepage lasse auf Verbindungen zur "Reichsbürger"-Szene schließen. Deren Anhänger erkennen die Bundesrepublik Deutschland als Staat meist nicht an, verneinen die Legitimität von Grundgesetz, Behörden und Gerichten.
"Dieses Spektrum, welches Bezüge auch zur rechtsextremistischen Szene aufweist, ist seit dem vergangenen Jahr verstärkt auch in Hamburg aktiv und wird seitdem vom Verfassungsschutz beobachtet", steht in der Mitteilung.
Auf den ersten Blick scheint es, als hätten "Reichsbürger" eine Schule infiltriert, die Kindern montags bis freitags zwischen 14.15 Uhr und 20.15 Uhr Unterricht gibt. Die Schulleiterin reagierte nicht auf E-Mails von SPIEGEL-ONLINE, eine Telefonnummer gibt sie auf ihrer Seite nicht preis. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa bezeichnete sie die Vorwürfe als "Super-Blödsinn".
Alle Fotos der Kollegen sind gelöscht
Tatsächlich spricht vieles dafür, dass es die Schule so gar nicht mehr gibt. Das Gruppenfoto des neunköpfigen Kollegiums, das am Montag noch auf der Homepage zu sehen war, wurde inzwischen ersetzt durch ein Landschaftsbild aus Russland. Auch die Profilfotos der Nachhilfelehrer und ihre Namen sind verschwunden.
Mindestens einer von ihnen hat dafür lange gekämpft. Er habe die Schulleiterin in den vergangenen Jahren mehrfach vergebens darum gebeten, von der Homepage genommen zu werden, sagt Boxtrainer Helmut J. Seit 2013 sei er für die Schule nicht mehr tätig. Die "kruden Theorien", die jetzt auf der Webseite zu finden seien, hätten damals keine Rolle gespielt.
Eine Archivsuche bestätigt das: Im Juli 2013 wirbt die Seite zwar mit "bekleideter Wellnessmassage", aber sie propagiert keine politischen Ansichten. Dyck habe die Schulräume im hippen Stadtteil Eimsbüttel im vergangenen Jahr aufgeben müssen, erzählt ein anderer ehemaliger Lehrer, "wahrscheinlich wegen Erfolglosigkeit, nicht zuletzt wegen ihrer abstrusen Ideen".
An der Fassade des Altbaus ein paar Straßen weiter, der nun als Anschrift der Schule im Netz steht, hängt weiterhin ein Schild: "Nachhilfeschule Dyck". Daneben auf einem Zettel der Hinweis, dass "Terroristen, V-Schutz, Parteimitglieder, Nato, NaZionisten und BRD-Personal" draußen bleiben sollen. Niemand öffnet an diesem Nachmittag die Tür.
Den Nachbarn zufolge handelt es sich um die Privatwohnung Dycks. Sie wohne hier schon seit einigen Jahren, sagt einer. "Sie lässt keine Verschwörungstheorie aus, die man im Netz finden kann." Regelmäßig hänge Dyck rund ums Haus Plakate auf, um ihre Theorien zu verbreiten, die andere Nachbarn dann wieder abnähmen. Kinder, die zur Nachhilfe kommen, habe er hier noch nicht gesehen.
Also doch nur ein Einzelfall, der die Medien mehr beschäftigt als besorgte Eltern? Ein Skandal steckt dennoch darin. Denn der Fall zeigt, was auch eine Studie vor einigen Tagen feststellte: Es ist fast unmöglich, die Qualität von Nachhilfeschulen zu kontrollieren.
Jeder könne eine Nachhilfeschule eröffnen, abhängig von der Gemeinde brauche man dafür einen Gewerbeschein oder nur eine Steuernummer, sagt die Vorsitzende des Bundesverbands Nachhilfe- und Nachmittagsschulen (VNN), Cornelia Sussieck.
Es gibt zwar freiwillige Zertifikate, etwa vom TÜV Rheinland oder dem Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung. Aber es koste mehrere Tausend bis Zehntausend Euro und sei sehr aufwendig, sie zu erhalten, sagt Sussieck. "Wenn man das verpflichtend machen würde, wäre das ein Todesurteil besonders für kleinere Schulen."
Von bundesweit rund 2000 inhabergeführten Schulen, die nicht den beiden großen Anbietern Schülerhilfe und Studienkreis angeschlossen sind, sind laut VNN denn auch nur etwa 40 zertifiziert.
"Keine Schulen im rechtlichen Sinne"
Hinzu kommt: Wenn der Verfassungsschutz auffällige Tendenzen an einer Schule feststellt, würde er normalerweise die Schulaufsicht informieren. Nachhilfeschulen unterliegen jedoch dem Gewerberecht. "Sie sind keine Schulen im rechtlichen Sinne, deshalb sind wir nicht zuständig", sagt ein Sprecher der Hamburger Schulbehörde.
Und so blieb dem Verfassungsschutz nur übrig, Informationen auf seiner Webseite zu veröffentlichen, auf dass Medien die Warnung aufgreifen und verbreiten. In diesem Fall hat das funktioniert.
Doch wenn politische Ideologien nicht so grell bunt auf einer Homepage prangen, sondern subtiler in den Nachmittagsunterricht einfließen sollten, bleibt es Schülern und Eltern überlassen, sich dagegen zu wehren. Meist nur, indem sie woanders Nachhilfe nehmen.