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"Staatsverweigerer-Schulen" werden immer beliebter
Die Zahl jener Kinder, die von ihren Eltern zum häuslichen Unterricht angemeldet werden, steigt. Viele von ihnen kommen in umstrittenen Lerngruppen unter.
Immer mehr Eltern melden ihre Kinder vom öffentlichen Schulbetrieb ab, um sie - offiziell - zu Hause zu unterrichten. Im Schuljahr 2012/13 waren es in ganz Österreich 1828 Kinder. Im Schuljahr 2017/18 bereits 2320. Außer in der Steiermark, die einen Rückgang von 404 auf 370 verzeichnete, gab es teils deutliche Zuwächse bei den Abmeldungen. In Niederösterreich stieg die Zahl von 358 auf 548. In Salzburg wurden 2012/13 84 Kinder zu Hause unterrichtet, 2017/18 waren es 115. Die Zahlen stammen aus dem Bildungsministerium, das auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen geantwortet hat.
Der grüne Bundesrat David Stögmüller wollte eigentlich wissen, wie viele Kinder hierzulande in sogenannten Lais-Schulen unterrichtet werden. Dabei handelt es sich um Lerngruppen ohne Öffentlichkeitsrecht, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen und vor denen Kritiker seit Längerem warnen. Sie seien Anlaufpunkte für Eltern, die das Schulsystem aus den unterschiedlichsten ideologischen Blickwinkeln als schlecht oder böse erachten. Darunter befänden sich Esoteriker ebenso wie Weltverschwörer und Rechtsradikale. Überdies sei es ein Sammelbecken der Staatsverweigererszene.
Ulrike Schiesser von derAn der Beantwortung der Anfrage ließ der Grünen-Bundesrat jedenfalls kein gutes Haar. "Es zeigt, dass das Ministerium keine Ahnung von dem Thema hat. Und das schon seit Jahren. Das ist katastrophal", sagte Stögmüller am Montag. Er fordert Bildungsminister Heinz Faßmann zu dringendem Handeln auf. "Es wird viel zu lange gewartet. Und ich habe die Befürchtung, dass so die Lais-Methoden nach und nach vom Regelschulwesen akzeptiert werden", kritisierte Stögmüller, der sich vor allem daran stößt, dass die Lais-Schulen "kein Konzept und keinen Lehrplan" vorweisen könnten. Auch dem Bildungsministerium ist kein solcher Lehrplan bekannt. Und da es sich um keine Schulen im Sinne des Privatschulgesetzes handle, könne man auch keine Angaben darüber machen, wie viele der nach Lais-Methode betriebenen Lerngruppen es in Österreich gebe. Die Lais-Methode will, kurz umrissen, glückliche Kinder, die freiwillig lernen, einander ihr Wissen weitergeben und dabei ohne Lehrer auskommen. Auf diese Weise, so behaupten die Vertreter der Lehre, würden die Kinder besser auf das Leben vorbereitet.
Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen ist exakt entgegengesetzter Ansicht: "Lais wird immer beliebter, aber dahinter steckt die Angst der Eltern, ihre Kinder überhaupt aus der Hand zu geben." Dazu kämen Staatsverweigerer, die ohnehin sämtlichen Strukturen misstrauen, und Vertreter "religiöser Reinheitsideen", erklärt Schiesser. "Aber egal aus welchen Gründen: Den Kindern tut das nie gut. Man nimmt ihnen so das Recht, an einer diversen, multikulturellen Gesellschaft teilzuhaben." Schiesser sieht die Lais-Methode in einem Naheverhältnis zur russischen Anastasia-Bewegung. Diese schwört auf das Leben in der Natur, vertritt jedoch nicht nur ökologisch-spirituelle, sondern auch völkische, mitunter (rein)rassische Theorien.
Ebenso wie der grüne Bundesrat David Stögmüller bemängelt die Sektenexpertin die Qualität der Externistenprüfungen für Lais-Schüler. Zu diesen sind Schulen ohne Öffentlichkeitsrecht verpflichtet, um den Wissensstand in den unterschiedlichen Altersgruppen jährlich unter Beweis zu stellen. "Diese Prüfungen sind an manchen Orten eine Farce", sagt Schiesser. Soll heißen: Die gut vernetzte Lais-"Szene" wisse genau, an welchen Schulen es Lehrer gibt, die der Lais-Methode nur allzu gewogen sind und die Kinder mehr oder weniger "durchwinken". Schiesser: "In manchen Bundesländern, wie zum Beispiel Salzburg, wird schon etwas dagegen unternommen." Das bedeutet, dass Externistenprüfungen nur noch an speziellen Schulen abgehalten werden dürfen und nicht mehr Einzellehrer, sondern Kommissionen den Sprösslingen gegenübersitzen.
Wie viele von den 2320 Kindern, die aktuell zu Hause unterrichtet werden, in Lais-Gruppen untergebracht sind, weiß niemand. Experten schätzen die Zahl auf 300 bis 400. Es könnten aber auch wesentlich mehr sein. Denn "Lais-Schulen schießen gerade wie Pilze aus dem Boden", sagt Bundesrat Stögmüller. Und genau da setzt die Kritik von Fachleuten wie Ulrike Schiesser an: "Das ist ein Weg in eine Parallelgesellschaft. Der Staat muss sich überlegen, ob er das will."
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