Autor Thema: Spiegel Online: "Wie sich das AfD-Milieu die deutsche Geschichte zurechtbiegt"  (Gelesen 1867 mal)

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Bei Spiegel Online gibt es einen Artikel dazu, wie sich die Rechten ihr Geschichtsbild hinbiegen, die neuste Idee ist das "Neue Hambacher Fest", organisiert durch einen AfD-Sympathisanten, aber natürlich keine AfD-Veranstaltung.

Zitat von: Spiegel Online
Nein, die Feier sei kein AfD-Event, beteuert Otte. Das Problem ist nur, dass die Politiker anderer Parteien abgesagt haben: der FDP-Politiker Frank Schäffler zum Beispiel oder der CDU-Mann Klaus-Peter Willsch. So wird AfD-Chef Meuthen der einzige aktive Politiker sein, der auf der Nicht-AfD-Veranstaltung spricht.

Andere prominente Namen sind neben Max Otte selber, Thilo Sarrazin, AfD-Chef Jörg Meuthen und die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld. Hat also gar nichts mit der AfD zu tun.
Der Artikel hat einige süffisante Spitzen gegen die Ansprüche der Neurechten und ist interessant zu lesen. Siehe hier oder im Spoiler.

Spoiler
Zitat von: Spiegel Online
Wie sich das AfD-Milieu die deutsche Geschichte zurechtbiegt

Das rechte Milieu kapert historische Personen und Bewegungen: vom Hambacher Fest bis zu den Geschwistern Scholl. Mit Erfolg?

Der Chauffeur lenkt die schwarze S-Klasse auf den Vorplatz des Hambacher Schlosses, springt aus dem Fahrersitz und öffnet die Tür für den Chef. Max Otte, königsblauer Anzug, Hornbrille, Hemd mit eingesticktem Monogramm, wuchtet sich aus dem Fond des Wagens und breitet die Arme aus, als wollte er das Tal der pfälzischen Weinstraße umarmen. "Ist das nicht grandios? Ich hoffe, Sie haben den Blick gebührend genossen."

Als Kind verbrachte Otte, 53, hier oft seine Ferien, sein Großvater hatte in der Pfalz einen kleinen Weinberg. Vom Tal aus konnte der Bub das Hambacher Schloss hoch auf dem Berg thronen sehen. Nun wird der Finanzberater und Buchautor aus Köln bald Schlossherr von Hambach sein, für einen Tag jedenfalls.

Am 5. Mai richtet Otte das "Neue Hambacher Fest" aus, er will das historische Ereignis vom 27. Mai 1832 wiederbeleben, als bis zu 30.000 Deutsche hier für ein einiges Deutschland, für ihre Bürgerrechte und die Freiheit demonstrierten.

Das Hambacher Fest ist eine Wegmarke der deutschen Geschichte, jedes Schulkind lernt, dass sich hier erstmals das Streben der Deutschen nach Demokratie Bahn brach. Die bürgerliche Massendemonstration war Vorbote und Wegbereiter des Frankfurter Paulskirchenparlaments, deshalb spricht auf den offiziellen Jubiläumsfeiern schon mal der Bundespräsident.

Aber nun gehört das Fest für einen Tag Max Otte und den sieben Rednern, die er ausgewählt hat, darunter Thilo Sarrazin, AfD-Chef Jörg Meuthen und die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld. Alles "demokratische Systemkritiker", sagt Otte zufrieden. Wie beim alten Hambacher Fest würden seine Gäste ein Zeichen gegen die abgehobene Herrscherkaste und den Niedergang der Bürgerrechte setzen, die Otte überall beobachtet.

Die Methode, historische Daten und Orte für sich zu reklamieren, hat im rechten Milieu Tradition. Ob AfD-Politiker, Pegida-Demonstranten oder Rechtsintellektuelle - sie alle eint das Bemühen, ihr Tun als logische Fortführung des Werks heroischer Vorbilder zu zeichnen.

Manche berufen sich auf das Erbe der DDR-Dissidenten, andere beschwören große Staatsmänner wie Otto von Bismarck oder stellen sich in eine Reihe mit Sophie Scholl und Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die ihren Widerstand gegen die NS-Diktatur mit dem Leben bezahlten.

Es ist eine Okkupation und Provokation zugleich und überdies eine geschickte Strategie: Die historischen Figuren können sich nicht gegen ihre Vereinnahmung wehren. Und politischen Gegnern fallen Einwände schwer, denn wer gegen die selbsterklärten AfD-Widerständler austeilt, könnte auch Sophie Scholl treffen.

Otte erwartet 1200 Gäste zu dem Fest, mehr lassen Brandschutz und Bauauflagen nicht zu, aber es könnten noch mehr sein. "Wir wurden überrannt von Anmeldungen." Sogar die Warteliste ist geschlossen, es gibt nur noch Plätze für die "Patriotenwanderung", die früh um acht Uhr durch den Wald hoch zum Schloss führen soll.

Nein, die Feier sei kein AfD-Event, beteuert Otte. Das Problem ist nur, dass die Politiker anderer Parteien abgesagt haben: der FDP-Politiker Frank Schäffler zum Beispiel oder der CDU-Mann Klaus-Peter Willsch. So wird AfD-Chef Meuthen der einzige aktive Politiker sein, der auf der Nicht-AfD-Veranstaltung spricht.

Für das CDU-Mitglied Otte ist die AfD auch die einzige Partei, die das Grundproblem dieses Landes offen anspreche. Nämlich: "Wir erleben die Demontage all dessen, worauf wir stolz sein können."

Auf Uli Hoeneß etwa, in dem Otte nicht den Mann sieht, der 28,5 Millionen Euro an Steuern hinterzogen hat, sondern ein Vorbild, dessen große Verdienste "wegen kleiner Verfehlungen" beschmutzt würden. Oder auf die Autokonzerne, die für Otte keine Abgasbetrüger sind, sondern eine stolze Industrie, die "wegen ein paar Gramm Feinstaub" zerstört werde.

Vor allem sieht Otte eine stetige Demontage der Meinungsfreiheit, nicht zuletzt bei sich selbst: Wegen missliebiger Meinungen sitze er nicht mehr in Talkshows.

Gut, die Anmeldung seines Festes sei problemlos über die Bühne gegangen, räumt er ein, wie auch die Werbung über alternative Medien. Anders als den Organisatoren des historischen Hambacher Festes drohte kein Obrigkeitsstaat Otte mit dem Zuchthaus. Die Polizei wird seine Gäste nicht wie einst kujonieren, sondern schützen. Sogar der Kultusminister von Rheinland-Pfalz schreibe in seinen Briefen "Neues Hambacher Fest" ohne Anführungszeichen, sagt Otte zufrieden: "Im Sprachgebrauch der Ministerialbürokratie hat sich dieser Name schon festgefressen."

Steht diese Offenheit nicht im Widerspruch zur behaupteten Demontage der Meinungsfreiheit? Keinesfalls, sagt Otte. "Ich habe einfach Fortune gehabt." Denn welches Ausmaß die Diskriminierung kritischer Geister in Deutschland schon angenommen habe, zeige sich darin, dass ihm zwei Sound-Dienstleister abgesprungen seien, aus Angst vor Repressalien.

Für historische Inszenierungen wie das "Neue Hambacher Fest" haben die Rechten die Wahl zwischen zwei Rollen: Opfer und Held. Einfacher ist die Opferrolle, zumal es viele gewalttätige Angriffe von Linksextremen auf AfD-Politiker gibt. Aber AfD-Leute bezeichnen nicht nur sich, sondern das ganze Volk als Geiseln der "Diktatorin" Angela Merkel, montieren die Gesichter von Ministern auf Fotos der Angeklagten der Nürnberger Prozesse.

Besonders beliebt sind Vergleiche der BRD mit dem DDR-Unrechtsstaat. So geißeln AfD-Politiker das Gesetz des damaligen Justizministers Heiko Maas gegen Hassrede im Internet als "Zensur" nach Stasi-Manier. Dass freilich DDR-Bürger keine Kritik an Erich Honecker üben konnten, ohne Repressalien zu riskieren, während heute ein AfD-Politiker die Kanzlerin gefahrlos als "Merkel♥♥♥" titulieren kann, stört die Hobbyhistoriker nicht.

Mitunter geht Geschichtsklitterung in Fälschung über: So nutzen AfD-Vertreter gern ein angebliches Zitat des freiheitlich gesinnten Dichters Theodor Körner:

"Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten, vom Feinde bezahlt und dem Volke zum Spott. Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten, dann richtet das Volk, und es gnade euch Gott." Doch es stammt nicht von Körner, den schon die Nazis für sich vereinnahmen wollten, sondern wurde offenbar im NPD-Milieu gedichtet.

Zum Meister der AfD-Geschichtslehre hat es Björn Höcke gebracht. Seit 2015 lädt Thüringens AfD-Chef seine Anhänger zu jährlichen Treffen am monumentalen Kyffhäuserdenkmal. Hier ruhe nach dem "Volksglauben" Friedrich I., der "Friedenskaiser", predigte Höcke im vergangenen Jahr. Der Legende nach werde der Herrscher "eines Tages erscheinen, die Feinde schlagen und das Unrecht beseitigen".

Ein inspirierender Mythos, so Höcke, aber jeder wisse, dass Barbarossa nie wiederkehren werde. "Wir müssen heute auch nicht mehr warten, bis er das tut." Dank der AfD könne das Volk sein Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen. Der Andrang der Höcke-Fans zu dieser Wallfahrt ist so groß, dass man heuer auf das größere Schloss Burgscheidungen in Sachsen-Anhalt ausweichen muss. Aber der Name "Kyffhäusertreffen" bleibe, verspricht der Höcke-Flügel, "weil wir um die Bedeutung von Mythen auch in der Gegenwart und Zukunft wissen".

Anders als Höckes Lager scheut Max Otte zurück vor Anleihen an völkische Ideologien. Auf der Rednerliste seines Fests steht auch der Name Imad Karim. Der gebürtige Libanese ist einer der schärfsten Islamkritiker im Land und, wie Otte findet, "ein sehr gut integrierter Ausländer".

Karim ist deutscher Staatsbürger, das Hambacher Schloss besuchte er schon 1979 als Student, aus Interesse an der deutschen Geschichte. "Ein wunderschöner Ort mit positiver historischer Symbolkraft", findet Karim. Er liebt Deutschland von ganzem Herzen. "Hier ist die Heimat meiner Werte." Als TV-Journalist drehte er 58 Filme meist für öffentlich-rechtliche Sender, saß in Jurys für Filmpreise. Heute fühlt er sich wie Otte von den "Mainstream-Medien" wegen unbequemer Meinungen fallen gelassen. In seiner Festrede will Karim, der einst selbst aus einem arabischen Land einwanderte, das Publikum vor den Gefahren der Masseneinwanderung warnen. "Viele sogenannte Flüchtlinge, die hierherkommen, kennen unsere Werte leider nicht oder lachen uns dafür aus." Dass diese Leute wie er deutsche Werte lernen könnten, hält er angesichts ihrer schieren Zahl für ausgeschlossen.

Mit der unversöhnlichen Islamkritik ist Karim ein beliebter Gast auf AfD-Podien. Er urteilt schärfer über seine Ex-Glaubensbrüder, als viele AfD-Leute es sich trauen. "Ich, der Sohn von Abdul Karim, Enkel von Ali Karim, fühle mich als Humanist verpflichtet, über den Islam als Ideologie aufzuklären." Die Religion verhindere, dass ihre Anhänger in der Moderne ankämen. Und da sei die "bedauerliche Tatsache", dass 70 Prozent der Muslime ihre Cousinen heirateten, wie Karim behauptet. Aber diese Frage überlasse er den Biologen.

Die Hambacher Demonstranten von 1832 mussten sich nicht mit Masseneinwanderung oder religiösem Extremismus befassen. Trotzdem sieht sich Karim in ihrer Tradition. Dem Publikum will er erklären: "Heimatliebe bedeutet nicht, andere zu hassen." Die Deutschen sollten zu den Verbrechen des Faschismus stehen, aber sich befreien vom "Schuldkult" - eine auch bei Neonazis beliebte Vokabel.

Fühlt Karim sich von seinen Partnern auf der politischen Rechten als Deutscher akzeptiert? "Diese Frage ist beleidigend", sagt Karim. Er sei kein "Onkel Tom der AfD". Thilo Sarrazin kenne er seit Jahren, und er sei mit AfD-Leuten und Mitgliedern der Identitären Bewegung (IB) privat befreundet. Die IB ist eine rechtsextreme Splittergruppe, die der Verfassungsschutz beobachtet, weil sie für ethnisch möglichst homogene Völker eintritt.

Die "Zeit" fragte jüngst einen IB-Aktivisten, ob er Deutsche türkischer Herkunft als vollwertige Bürger anerkenne. "Nein", entgegnete der Mann. "Ich kann ja auch einen Hund nicht einfach Katze nennen."

Gut, so ein Spruch sei menschenverachtend, sagt Karim. Für ihn als Agnostiker sei aber entscheidend, "dass die Identitären den Mut haben, die Gefahren des politischen Islam zu benennen".

Und beim "Neuen Hambacher Fest" ist die IB ja auch nicht dabei.
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