Ich glaube, dass Schachtschneider dies aus Verzweiflung gesagt hat. Kaum jemand hat ihm noch zugehört, also wurde die grosse Keule ausgepackt. Ich habe ihn kürzlich darauf angesprochen.
Bezogen habe ich mich auf dieses Video.
Spoiler
Hallo Herr Prof. Dr. Schachtschneider,
Sie sind als Euroskeptiker bekannt und haben schon mehrere Beschwerden beim BVerfG eingebracht. Das ist Ihr gutes Recht und mit einigen Ihrer Argumente stimme ich überein.
Leider habe ich den Eindruck, dass Sie im Laufe der Zeit immere radikaler wurden, was in dieser unseligen Debatte um die Todesstrafe gipfelte.
Siehe zum Beispiel hier:
https://www.youtube.com/watch?v=VYBtSGVfQ3EIn der Grundrechtecharta, von der sie sprechen, steht nur dieser Satz:
"Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden."
Sie meinen wahrscheinlich den Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Das ist aber für Deutschland unerheblich, da es seit 1953 Mitglied des Europarates ist. Es ändert sich also nichts.
Ich bin mir sicher, dass Sie die Protokolle 6 und 13 kennen. Warum unterschlagen Sie sie dann?
Stattdessen ergehen Sie sich in diffusen Spekulationen.
Hier meine konkrete Frage: "Was genau hat sich mit dem Vertrag von Lissabon in Sachen Todesstrafe geändert?"
Spoiler
Ermöglichung der Todesstrafe und der Tötung
Karl Albrecht Schachtschneider
Die Grundrechtecharta ermöglicht ausdrücklich in den aufgenommenen „Erläuterungen“ und deren „Negativdefinitionen“ zu den Grundrechten, entgegen der durch das Menschenwürdeprinzip gebotenen Abschaffung der Todesstrafe in Deutschland (Art. 102 GG), Österreich und anderswo, die Wiedereinführung der Todesstrafe im Kriegsfall oder bei unmittelbar drohender Kriegsgefahr, aber auch die Tötung von Menschen, um einen Aufstand oder einen Aufruhr niederzuschlagen. Maßgeblich dafür ist nicht Art. 2 Abs. 2 der Charta, der die Verurteilung zur Todesstrafe und die Hinrichtung verbietet, sondern die in das Vertragswerk aufgenommene Erklärung zu diesem Artikel, die aus der Menschenrechtskonvention von 1950 stammt. Nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV in der Lissabonner Fassung werden die Rechte, Freiheiten und Grundsätze der Charta gemäß den allgemeinen Bestimmungen von Titel VII der Charta, in dem die Auslegung und Anwendung derselben geregelt ist, und unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten „Erläuterungen“, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, ausgelegt. Die rechtliche Relevanz der „Erläuterungen folgt auch aus Absatz 5 S. 2 der Präambel der Charta, wonach deren Auslegung „unter gebührender Berücksichtigung der Erläuterungen“ erfolgt, „die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden“, und noch mehr aus Art. 52 Abs. 3 der Charta, wonach Rechte der Charta, „die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechte entsprechen“, „die gleiche Bedeutung und Tragweite haben , wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird“. Absatz 7 des Art. 52 wiederholt die Pflicht der Gerichte der Union und der Mitgliedstaaten, die „Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung der Charta der Grundrechte verfaßt wurden, gebührend zu berücksichtigen. Absatz 5 S. 2 der Präambel und Absatz 7 des Art. 52 sind erst am 12. Dezember 2007 in die Charta (wieder) aufgenommen worden. Sie standen schon im gescheiterten Verfassungsvertrag vom 29. Oktober 2004. Zwischenzeitliche Politik gegen die Ermöglichung der Todesstrafe und Tötung ist jedenfalls durch diese Texterweiterung dementiert. Die „Erläuterungen“ betreffen auch und gerade Art. 2 Abs. 2 der Charta.
Die Ermächtigungen der Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik genügen, um im Interesse der Effizienz der Missionen nach Art. 28a (42) Abs. 1 S. 2 und Art. 28b (43) Abs. 1 EUV oder auch der Verteidigung die Todesstrafe einzuführen, etwa die Ermächtigung des Rates durch Art. 28b (43) Abs. 2 S. 1 EUV in Beschlüsse über Missionen „die für sie geltenden allgemeinen Durchführungsbestimmungen festzulegen“. Daran sind weder das Europäische Parlament beteiligt noch gar die nationalen Parlamente. Ein solcher Beschluß wäre an dem Art. 2 Abs. 2 der Grundrechtecharta mit seiner Erläuterung zu messen. Im übrigen verpflichten sich die Mitgliedstaaten durch Art. 28 (42) Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 EUV, „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“. Die Kriege in der Vergangenheit und Gegenwart beweisen, daß die Todesstrafe etwa gegen Soldaten, welche Befehle auszuführen sich weigern, die militärischen Fähigkeiten einer Armee ungemein zu steigern vermag. Die Effizienz militärischer Maßnahmen kann auch durch die Hinrichtung von Terroristen und Saboteuren oder auch nur vermeintlichen Terroristen und Saboteuren erhöht werden, u.a.m. Die Praxis der Union, die Texte über Pflichten der Mitgliedstaaten extrem auszudehnen, läßt auch eine solche Interpretation nicht ausgeschlossen erscheinen, wenn die Lage es gebietet oder nahelegt. Nebenbei bemerkt ist die Aufrüstungsverpflichtung dieser Vorschrift mit dem Deutschland (Präambel des Grundgesetzes, Art. 1 Abs. 2, Art. 26 Abs. 1 GG) und auch Österreich bindenden Friedensprinzip unvereinbar.
In der Erklärung betreffend die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, die nach Art. 49b (51) EUV („Anhang“) Bestandteil der Verträge sind, also deren Verbindlichkeit haben, steht:
„3. Die Bestimmungen des Artikels 2 der Charta entsprechen den Bestimmungen der genannten Artikel der EMRK und des Zusatzprotokolls. Sie haben nach Artikel 52 Absatz 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite. So müssen die in der EMRK enthaltenen „Negativdefinitionen“ auch als Teil der Charta betrachtet werden:
a) Art. 2 Abs. 2 EMRK:
Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um
a) jemanden gegen rechtwidrige Gewalt zu verteidigen;
b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;
c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen“.
b) Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK:
„Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; diese Strafe darf nur in den Fällen, die im Recht vorgesehen sind, und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewendet werden …“.
Aufstände oder Aufruhre kann man auch in bestimmten Demonstrationen sehen. Der tödliche Schußwaffengebrauch ist in solchen Situationen nach dem Vertrag von Lissabon keine Verletzung des Rechts auf Leben. Im Krieg befinden sich Deutschland und Österreich auch gegenwärtig. Die Kriege der Europäischen Union werden mehr werden. Dafür rüstet sich die Union – auch durch den Vertrag von Lissabon.
Brief zum 13. Protokoll der EMRK
Sehr geehrter Herr Schuberth,
ich habe in meinem Papier zur Todesstrafe und Tötung zu Ihrer Frage in einem Satz Stellung genommen, wenn auch ohne Hinweis auf das 13. Protokoll. Der Satz steht auch in den Verfassungsklagen. Das 13. Protokoll ist nicht einschlägig, weil der Konvent, der die Grundrechtecharta erarbeitet hat, nicht auf dieses Protokoll hingewiesen hat (weil es das auch noch nicht gab). Es kommt aber für die Negativdefinitionen (ausweislich der von mir genau zitierten Rechtsgrundlagen im EU-Vertrag Lissabonner Fassung und in der 2007 überarbeiteten Charta) in den Erklärungen an, die der Konvent zur Erläuterung der Charta beigefügt hat. Dazu gehört eben das 13. Protokoll gerade nicht. Das ist schon raffiniert gemacht. Spanien und Polen, heißt es, wollten bei der Möglichkeit der Todesstrafe bleiben. Ich denke auf amerikanischen Einfluß hin. Die Tötung bei Aufstand oder Aufruhr ist von dem 13. Protokoll ohnehin nicht erfaßt.
Ich füge mein Papiere zur Todesstrafe und Tötung und zur Grundrechtskonkurrenz noch einmal an.
Beste Grüße
Karl Albrecht Schachtschneider
M. Borowsky, in: J. Meyer, Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2003, Art. 2, Rdn. 18 ff., 45.
Also wirklich geantwortet hat er mir nicht. Oder habe ich das in dem Wust übersehen?
Dass bei Bekämpfung eines Aufruhrs, falls nicht anders möglich, Waffen eingesetzt werden, ist für mich selbstverständlich. Ich wüsste auch keinen Staat auf der Welt, der darauf verzichten würde. Schachtschneiders Vermischung mit der Todesstrafe halte ich für unsinnig.
Auf den Kern meiner Frage, was sich mit Einführung des Lissabonner Vertrags geändert haben soll, sagt er nichts.