Und wieder wird die Meinungsfreiheit unterdrückt! Oh, wait...
Spoiler
Gründe
I.
Randnummer1
Mit Urteil des Amtsgerichts Trier vom 19.09.2023 wurde der Angeklagte wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Trier vom 08.11.2022 - Az. 8112 Js 15652/22 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten sowie wegen Beleidigung zu einer weiteren Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte wegen Beleidigung unter Einbeziehung der o.g. Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten sowie wegen Beleidigung zu einer weiteren Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt ist.
Randnummer2
Die hiergegen gerichtete, allein auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat entgegen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der beiden genannten Urteile und zugleich zum Freispruch des Angeklagten.
II.
Randnummer3
Das Landgericht hat - soweit hier von Bedeutung - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
Randnummer4
a) Im Zusammenhang mit dem gegen den Angeklagten vor dem Amtsgericht Trier unter dem Vorsitz der Richterin am Amtsgericht N. geführten Strafverfahren 8112 Js 15652/22 versandte er am 20.10.2022 um 11.32 Uhr eine E-Mail nebst Anlagen an die ihm in diesem Verfahren beigeordnete Pflichtverteidigerin, das zentrale E-Mail-Postfach des Amtsgerichts Trier und des Polizeipräsidiums Trier, mit der er sinngemäß die hoheitlichen Befugnisse von Polizeibeamten negierte und diverse Anlagen übermittelte. Sie steht im Zusammenhang mit seiner unmittelbar an die E-Mail vom 20.10.2022 angefügten, ebenfalls an seine Pflichtverteidigerin gerichteten E-Mail vom 19.10.2022, 17.30 Uhr, mit der er seine Missachtung gegenüber Richterin am Amtsgericht N. kundtun wollte (Fall II.1 d. Urteilsgründe).
Randnummer5
In der letztgenannten E-Mail heißt es unter anderem wie folgt (sic!):
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„Sehr geehrte Rechtsverdreherin [...],
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wenn Sie wie Z. und K., Schiedsrichterin N., beteiligte Scheinbeamte und sonstige Betrüger und Landesverräter der Bundesrepublik einreihen möchten, die zu gegebener Zeit vor dem Restitutionsgericht in Ankara für ihre Menschenrechtsverletzungen büßen und bezahlen werden, die nach Völkerstrafgesetzbuch als Kriegsverbrechen gelten, belästigen Sie mich ruhig weiter. [...] Der Anwaltszwang ist wie 28 andere Gesetze der BRD angewandtes NS-Recht, dass per 139GG, dass ausschließlich für Sie und Ihresgleichen verpflichtend ist, verboten ist. [...] Ich habe über die Jahre nun ausreichende Beweise gesammelt und werde Sie alle beim OHCHR und dem Restitutionsgericht zur Verantwortung ziehen, die ja jeder Richter durch Unterlassen der Unterschrift unter Urteilen und Beschlüssen, von sich weisen will. Ich werde Ihnen vorsorglich morgen besagte Urteile übersenden [...]
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Sollten Sie Urteil C-508/18 der CVRIA gelesen haben, sollten Sie verstehen, dass Schiedsrichterin und Rechtsbeugerin N. mich ohne einsperren wird, um ihren Betrug zu verdecken.
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Ich werde Sie alle dafür bluten lassen, egal wie lange es dauert und was es mich kosten wird. Urteile des BverfG stellen für die BrD und all ihre Handlanger verbindliches Bundesrecht dar und ich mache Ihrer Täuschung nicht mehr mit. [...]“
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b) Am 22.12.2022 stand der Angeklagte aufgrund einer Verurteilung durch das Amtsgericht Trier vom 16.11.2021 unter laufender Bewährung. An diesem Tag versandte er im zugehörigen Bewährungsverfahren - Az. 3 BRs 83/21 - um 03.36 Uhr eine E-Mail mit dem Betreff „fortgeführtes Nazi Deutschland“ an das zentrale E-Mail-Postfach des Amtsgerichts Trier, des Polizeipräsidiums Trier sowie drei Rechtsanwälte. Sie ist gerichtet an eine namentlich angesprochene Geschäftsstellenmitarbeiterin der Abteilung für Strafsachen des Amtsgerichts Trier, der der Angeklagte seine Missachtung kundtun wollte (Fall II.2 d. Urteilsgründe).
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In der E-Mail heißt es unter anderem wie folgt:
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„Sehr geehrte Frau [...],
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angesichts des Urteils des IGH's vom 03.02.2012 und dem dazugehörigen ZDF Bericht selben Datums und der dortigen Feststellungen, dass die BRD die Rechtsnachfolgerin des dritten Reichs ist [...], dem Urteil des europäischen Gerichtshofes zum Az.: C 508/18 und der Feststellung, dass die BRD mangels Gewaltenteilung kein Rechtsstaat ist und dem Urteil des BVerfG vom 25.07.2012 dass besagt, das dass Wahlrecht in der BRD nichtig ist [...] bleibt nur die Frage, ob sie meinen, das all dass für Sie ohne Konsequenzen bleibt.
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Sie und die restliche BRD Verwaltung führen das III. Reich fort, vergeben Staatsangehörigkeiten des Adolf Hitler, wenden Nazi-Gesetze an, verwalten die Menschen widerrechtlich als jur. Personen und vergewaltigen und pervertieren althergebrachte Rechtsgrundsätze und das Völkerrecht und schreiben dann von rechtskräftigen Urteilen.
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Nichts ist in der BRD seit 1956 rechtskräftig, da es seit diesem Datum keinen rechtmäßigen Gesetzgeber gibt [...] und niemand von Ihnen befugt ist, staatliches Recht anzuwenden [...].
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All Ihre Menschenrechtsverletzungen = Kriegsverbrechen sind gut dokumentiert und sie alle, restlos, werden sich in naher Zukunft vor Militärtribunalen verantworten, da nun selbst die UN gegen die Glorifizierung des Nazismus vorgeht, welchen sie hier offenkundig betreiben. Ihre Namen und Taten sind bisher und werden auch künftig an entsprechende Stellen übermittelt. [...]
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Ich habe mit Ihrem Nazi Verein nichts zu tun [...] Wiedermal basiert ihr Handeln auf Willkür und Ermächtigung sowie Notstandsgesetzgebung. [...]“
2.
Randnummer18
Das Landgericht hat die beiden festgestellten Sachverhalte jeweils als Beleidigung gemäß § 185 StGB bewertet und entsprechend verurteilt.
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a) So sei in Fall II.1 der Urteilsgründe der Äußerung „sollten Sie verstehen, dass Schiedsrichterin und Rechtsbeugerin N. mich ohne einsperren wird, um ihren Betrug zu decken“ der Sinnzusammenhang zu entnehmen, bei der betroffenen Richterin handele es sich nicht um eine „echte“ Richterin, sondern sie handele aufgrund „nichtiger BRD-Gesetzgebung“. Um dies zu vertuschen, werde sie ihn einsperren. Mit diesem herabsetzenden Werturteil werfe der Angeklagte der Richterin Betrug und Rechtsbeugung vor, ohne ein Geschehen zu behaupten, welches überprüfbar wäre. Damit habe er die Grenzen der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) überschritten. Dies auch vor dem Hintergrund, dass ein Bürger gerichtliche Entscheidungen ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen kritisieren können müsse. Im „Kampf ums Recht“ sei es zwar grundsätzlich auch erlaubt, starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen. Missbräuchliche Einlassungen, die in keinem inneren Zusammenhang zur Verteidigung stünden oder offenbar unhaltbar seien, seien aber nicht gerechtfertigt. Es handele sich um unhaltbare Äußerungen des Angeklagten, die sich auch nicht gegen konkrete Verfahrenshandlungen richten würden und deshalb nicht gerechtfertigt seien.
Randnummer20
b) In Fall II.2 der Urteilsgründe werfe der Angeklagte der Mitarbeiterin im Sinne eines herabsetzenden Werturteils vor, Angehörige eines Nazivereins zu sein und Menschheitsverbrechen zu begehen. Dieser Ehrangriff sei nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt. Es handele sich um offensichtlich unhaltbare Äußerungen, die in keinem Verfahrenszusammenhang stünden.
III.
Randnummer21
Die statthafte sowie form- und fristgerecht angebrachte Revision hat in der Sache Erfolg und führt zum Freispruch des Angeklagten. Das angefochtene Urteil hält einer sachlich-rechtlichen Prüfung insgesamt nicht stand. Die Feststellungen tragen weder in Fall II.1 noch in Fall II.2 der Urteilsgründe den Schuldspruch der Beleidigung gemäß § 185 StGB.
1.
Randnummer22
Bei einer Beleidigung handelt es sich um die Kundgabe von Nichtachtung oder Missachtung gegenüber einem anderen in der Weise, dass dem Betroffenen - sei es durch Äußerung eines herabsetzenden Werturteils unmittelbar ihm oder in Bezug auf diesen einer dritten Person gegenüber (vgl. BayObLG, Beschl. 203 StRR 38/23 v. 01.03.2023 - BeckRS 2023, 13711; Fischer, StGB, 71. Aufl. § 185 Rn. 5) - der ethische, personale und soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch dessen grundsätzlich uneingeschränkter Ehr- und Achtungsanspruch verletzt oder gefährdet wird (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. 4 Rv 26 Ss 366/22 v. 19.07.2022 - BeckRS 2022, 22211 Rn. 7; OLG Karlsruhe, Beschl. 2 Rv 34 Ss 714/19 v. 04.11.2019 - BeckRS 2019, 28239 Rn. 16; OLG Bremen, Beschl. 1 Ss 49/17 (2 Ss 49/17 GenStA) v. 13.04.2018 - BeckRS 2018, 31424 <Rn. 8 mwN.>; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, StGB, 30. Aufl. § 185 Rn. 1).
Randnummer23
a) Dabei ist zunächst vorab zu untersuchen, ob die Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe eines Werturteils, einer Meinung, darstellt. Während bei der Tatsachenbehauptung die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund steht, weshalb sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich ist, sind Meinungen, auf die sich der grundgesetzliche Schutz in erster Linie bezieht, durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. 2 ORs 370 SRs 552/24 v. 18.02.2025 - BeckRS 2025, 3842; BayObLG, Beschl. 1 St RR 75/2001 v. 13.07.2001 - NStZ-RR 2002, 40). Diese zunächst dem Tatrichter obliegende Einstufung unterliegt in rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht, weil der sich Äußernde durch eine unzutreffende Beurteilung möglicherweise den Schutz des ihm zustehenden Grundrechts verlieren würde (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. 1 Ss 39/09 v. 15.06.2009 - BeckRS 2009, 23937; BayObLG 1 St RR 75/2001 aaO. <41>) und bereits eine fehlerhafte Einstufung als Tatsachenbehauptung eine Verletzung der Meinungsfreiheit darstellt (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 820/24 v. 04.04.2024 - NStZ-RR 2024, 168).
Randnummer24
b) Dabei verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des (objektiven) Sinns der infrage stehenden Äußerung (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 2588/20 v. 09.02.2022 - NStZ 2022, 734). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist aber weder die subjektive Absicht der sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen; entscheidend ist vielmehr der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. BVerfG 1 BvR 820/24 aaO. <169>; vgl. auch BayObLG, Beschl. 206 StRR 343/24 v. 14.10.2024 - BeckRS 2024, 27460; KG, Urt. 1 Ss 470/09 v. 11.01.2010 - BeckRS 2010, 6840). Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren (vgl. BVerfG 1 BvR 820/24 aaO. <169>; BVerfG, Beschl. 1 BvR 1476/91 (ua.) v. 10.10.1995 - NJW 1995, 3303 <3305>). Kommen mehrere Deutungen in Betracht, darf sich das Gericht nur dann für die zur Bestrafung führende entscheiden, wenn es eine straflose Deutungsvariante mit überzeugenden Gründen ausschließt. Das Revisionsgericht kann und muss diese bei vollständigen Feststellungen selbst vornehmen (vgl. BayObLG 206 StRR 343/24 aaO.; a.A. wohl OLG Bremen aaO. <Rn. 10>).
Randnummer25
c) Handelt es sich um ein Werturteil, auf das § 185 StGB Anwendung findet, erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach dieser Vorschrift im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Eine Verurteilung kann ausnahmsweise auch ohne eine solche Abwägung gerechtfertigt sein, wenn es sich um Äußerungen handelt, die sich als Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Hierbei handelt es sich um verschiedene Fallkonstellationen, an die jeweils strenge Kriterien anzulegen sind. Liegt keine dieser eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen vor, begründet dies bei Äußerungen, mit denen bestimmte Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, kein Indiz für einen Vorrang der Meinungsfreiheit. Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion ist dann allerdings - wie es der Normalfall für den Ausgleich von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht ist - eine grundrechtlich angeleitete Abwägung, die an die wertungsoffenen Tatbestandsmerkmale und Strafbarkeitsvoraussetzungen des Strafgesetzbuchs, insbesondere die Begriffe der „Beleidigung“ und der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“, anknüpft (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 2588/20 aaO. <735 Rn. 23>).
2.
Randnummer26
Hiervon ausgehend begegnet das angefochtene Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Urteilsgründe werden - da ihnen bereits nicht abschließend zu entnehmen ist, ob das Landgericht, das die Äußerungen des Angeklagten jeweils zu seinen Gunsten als Werturteile ausgelegt hat, von einer Schmähkritik ausgeht oder der Schuldspruch Ergebnis einer Abwägung ist - den verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Prüfungs- und Begründungstiefe nicht gerecht. Dies hat indes nicht die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zur Folge. Vielmehr ist es dem Revisionsgericht möglich, diese Prüfung nachzuholen, da die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen vollständig sind und eine ausreichende Tatsachengrundlage bilden (vgl. zur Sinnermittlung der Äußerung bereits oben BayObLG 206 StRR 343/24 aaO.; vgl. zur eigentlichen Abwägung OLG Hamm, Urt. 4 ORs 46/23 v. 27.06.2023 - BeckRS 2023, 15053 <Rn. 29 mwN.>; OLG München, Beschl. OLG 13 Ss 81/17 v. 31.05.2017 - BeckRS 2017, 112292 <Rn. 10>; OLG Stuttgart, Urt. 1 Ss 599/13 v. 07.02.2014 - BeckRS 2015, 7792 <Rn. 21>). Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Meinungsfreiheit hier der Vorrang einzuräumen ist.
Randnummer27
a) Im Ansatz zutreffend hat das Landgericht die Sinngehalte der durch den Angeklagten getätigten Äußerungen ermittelt und ist richtigerweise davon ausgegangen, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Äußerungen sowohl in Fall II.1 als auch in Fall II.2 der Urteilsgründe um Werturteile handelt.
Randnummer28
aa) Allerdings begegnen die durch das Landgericht ermittelten Sinngehalte der Äußerungen insoweit Bedenken, als es sie nicht erkennbar in den Gesamtkontext der Aussagen gestellt hat, sondern isolierte Aspekte herausgegriffen werden. Insbesondere wird nicht erkennbar, ob das Landgericht in seine Überlegungen eingestellt hat, ob die Äußerungen des Angeklagten den namentlich genannten Personen selbst oder einer - wenn auch abwegigen - Systemkritik galten und ob nach den konkreten Umständen eine Deutung möglich ist, dass er - entsprechend seiner Einlassung, er habe niemanden beleidigen wollen - nicht die Richterin bzw. Geschäftsstellenmitarbeiterin verächtlich machen wollte, sondern allein deren Funktion und die damit einhergehenden gerichtlichen Handlungen als solche angreift. Insoweit gilt:
Randnummer29
(1) Den E-Mails ist in ihrem jeweiligen Gesamtkontext zunächst eine generell gegenüber dem Staat und seinen Bediensteten ablehnende Haltung zu entnehmen. Der Angeklagte bestreitet im Ergebnis die Existenz und Legitimität der Bundesrepublik Deutschland. Vielmehr vertritt er die Auffassung, dass die Bundesrepublik Nachfolgerin des Dritten Reiches sei und weiterhin NS-Recht - auch zu seinem Nachteil - angewendet werde. Damit einhergehend stellt er die Rechtsstaatlichkeit sämtlichen justiziellen Handelns in Abrede. Demgemäß hält er jegliches staatliche Vorgehen und insbesondere jenes der Gerichte für verbrecher- und betrügerisch sowie nicht bindend. Personen, die an diesem - seiner Auffassung nach - gesetzlich nicht gedeckten, daher missbräuchlichem und willkürlichem Vorgehen mitwirken, betrachtet er unter anderem als „Betrüger“, „Landesverräter“ (Fall II.1 der Urteilsgründe) bzw. Verletzer von Menschenrechten und Kriegsverbrecher, die das Dritte Reich fortführten und damit Teil eines „Nazivereins“ seien (Fall II.2 der Urteilsgründe).
Randnummer30
Aus dieser Grundannahme heraus behauptet der Angeklagte in Fall II.1 der Urteilsgründe, die für sein Strafverfahren zuständige Richterin werde das - vom Angeklagten gemutmaßte - Unrecht und den damit einhergehenden massiven Betrug, an dem sie als Teil des Systems beteiligt sei, dadurch decken, dass sie ihn in dem gegen ihn geführten Strafverfahren einsperren wird. In diesem Kontext bezeichnet er sie schließlich auch als „Rechtsbeugerin“.
Randnummer31
Ebenfalls auf Basis seiner Grundannahmen äußert der Angeklagte in Fall II.2 der Urteilsgründe gegenüber der betroffenen Justizbeschäftigten, dass sie durch ihr berufliches Wirken Teil dieses „Nazivereins“ sei und daher Menschheits- und Kriegsverbrechen begehe. Demgegenüber unterstellt er der Betroffenen im Gesamtkontext nicht, selbst nationalsozialistische Gesinnungen zu vertreten. Kern seiner Äußerung ist vielmehr, dass alle Staatsbediensteten Teil eines „Nazivereins“ seien und ihr Handeln damit nicht rechtmäßig, sondern willkürlich. Sinngemäß wirft er der Betroffenen daher weitergehend auch einen Machtmissbrauch vor.
Randnummer32
(2) Hiervon ausgehend erachtet der Senat die in Fall II.1 der Urteilsgründe mit E-Mails vom 19./20.10.2022 getätigten Äußerungen nicht lediglich als gegen die ausgeübte Funktion gerichtete Kritik, sondern geht davon aus, dass er die betroffene Richterin auch persönlich jedenfalls in ihrem ethischen Geltungswert ansprechen wollte. Denn den Aussagen ist nicht lediglich zu entnehmen, dass sie keine „echte“ - gemeint eine legitimierte - Richterin sei und auf Basis „nichtiger BRD-Gesetzgebung“ handele. Vielmehr wirft er ihr im Gesamtkontext vor, dass sie dies vertuschen wolle und hierfür betrügerisch und rechtsbeugend andere Menschen einzusperren bereit sei. Damit einher geht der ehrverletzende Vorwurf, der hinter dem Amt stehende Mensch nutze eine ihm zukommende Machtposition aus Eigeninteresse aus, um seine Unrechtstaten - die ihr also bewusst sein müssen - missbräuchlich zu verschleiern.
Randnummer33
Dies gilt gleichermaßen in Fall II.2 der Urteilsgründe. Der Vorwurf, die Betroffene sei Teil eines „Nazivereins“, richtet sich zwar vorrangig gegen die durch sie ausgeübte Funktion. Er geht jedoch darüber hinaus und greift die Betroffene ebenfalls in ihrem ethischen Geltungswert als Person an, da sie mit der Ausübung ihrer Tätigkeit bewusst Menschheits- und Kriegsverbrechen begehe. Damit einher geht - wie auch in Fall II.1 der Urteilsgründe - die Unterstellung erheblicher moralischer Defizite aufgrund ihres bewussten und ausdrücklich als willkürlich bezeichneten Verhaltens.
Randnummer34
bb) Bei diesen Äußerungen handelt es sich jeweils um Werturteile. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der Äußerung an. Auch ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 820/24 aaO. <169>; vgl. auch BayObLG, Beschl. 1 St RR 75/2001 aaO.). Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte. Ein Werturteil liegt auch dann vor, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm ist, dass er, mag der Tatsachenkern auch erkennbar sein, gegenüber der subjektiven Wertung völlig in den Hintergrund tritt (vgl. KG, Beschl. (4) 161 Ss 80/12 (104/12) v. 30.04.2012 - NStZ-RR 2013, 8; OLG Brandenburg aaO.).
Randnummer35
So liegt der Fall hier. Den Äußerungen ist in beiden Fällen durchaus ein Tatsachenkern zu entnehmen, nämlich einerseits derjenige des behaupteten Betrugs bzw. der behaupteten Rechtsbeugung, anderseits der vorgeworfenen Mitgliedschaft in einem „Naziverein“ mit „willkürlichem Handeln“ und der Begehung von Menschheits- und Kriegsverbrechen. Die damit einhergehenden Behauptungen, die den Ausgangspunkt dieser Äußerungen bilden, nämlich dass der Bundesrepublik Deutschland die Legitimation fehle, sie Nachfolgerin des Dritten Reiches sei und die Gesetzgebung nichtig wäre, ist jedoch derart substanzarm, dass diese und in der Folge die den Betroffenen gegenüber ausgesprochenen Vorwürfe als rein subjektive Wertungen des Angeklagten zu behandeln sind.
Randnummer36
c) Handelt es sich hiernach bei den Äußerungen des Angeklagten sowohl in Fall II.1 als auch in Fall II.2 der Urteilsgründe um Werturteile, erfordert die Einstufung als strafbare Beleidigungen im Sinne des § 185 StGB einen Ausgleich mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, der über eine einzelfallbezogene Abwägung vorzunehmen ist. Dabei erfüllen die durch das Landgericht festgestellten Aussagen des Angeklagten sowohl in Fall II.1 als auch in Fall II.2 der Urteilsgründe objektiv durchaus den Tatbestand einer Beleidigung im Sinne des § 185 StGB. Sie waren hier aber unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Randnummer37
aa) Zunächst liegt ein in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannter Ausnahmefall, der der Abwägung entzogen wäre, nicht vor. Bei den beiden Äußerungen des Angeklagten handelt es sich weder um einen Angriff auf die Menschenwürde, noch um eine Formalbeleidigung oder um Schmähkritik.
Randnummer38
(1) Ein Angriff auf die Menschenwürde scheidet in beiden Fällen erkennbar aus. Eine Menschenwürdeverletzung kommt nur in Betracht, wenn sich eine Äußerung nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte richtet, sondern einer konkreten Person den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit abspricht (vgl. BVerfG, Beschlüsse 1 BvR 369/04 (ua.) v. 04.02.2010 - NJW 2010, 2193; 1 BvR 2397/19 v. 19.05.2020 - NJW 2020, 2622 <Rn. 22>). Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall.
Randnummer39
(2) Ebenso liegt jeweils die Annahme einer Formalbeleidigung fern.
Randnummer40
In diesen Fällen bildet das Kriterium der Strafbarkeit nicht der fehlende Sachbezug einer Herabsetzung, sondern die kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit und damit die spezifische Form dieser Äußerung (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 2397/19 aaO. <Rn. 21>). Dies gilt etwa bei mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung verwendeten, nach allgemeiner Auffassung besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern, etwa aus der Fäkalsprache.
Randnummer41
Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Die durch den Angeklagten gegenüber den Betroffenen verwendeten Begrifflichkeiten stellen keine gesellschaftlich tabuisierten Schimpfwörter dar. Es handelt sich vielmehr um Begriffe, mit denen im Einzelfall durchaus sachliche Kritik an Personen und deren Verhalten zum Ausdruck gebracht werden könnte; dies gilt insbesondere auch mit Blick auf den in Fall II.1 der Urteilsgründe verwendeten Begriff der „Rechtsbeugung“ (vgl. ausdrücklich BVerfG 1 BvR 2397/19 aaO. <Rn. 37>).
Randnummer42
(3) Die Äußerungen des Angeklagten sind im Ergebnis auch nicht als Schmähkritik einzuordnen.
Randnummer43
Der Charakter einer Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinn folgt nicht schon aus einem besonderen Gewicht der Ehrbeeinträchtigung als solcher und ist damit nicht ein bloßer Steigerungsbegriff. Auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert. Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung vielmehr erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfG 1 BvR 2588/20 aaO.), wenn also die persönliche Kränkung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 2272/04 v. 12.05.2009 - NJW 2009, 3016 <3018 Rn. 35>). Es sind Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen. Davon abzugrenzen sind letztlich Fälle, in denen die Äußerung, auch wenn sie gravierend ehrverletzend ist, als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhalts dient. Insoweit stellt die Annahme einer Schmähung eine eng umgrenzte Ausnahme dar (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 2397/19 aaO. <2624 Rn. 20>; OLG Bremen aaO. <Rn. 15>).
Randnummer44
Hiervon ausgehend ist nicht erkennbar, dass es dem Angeklagten bei seinen Äußerungen ohne sachliche Auseinandersetzung um die Diffamierung der Betroffenen gegangen wäre. Vielmehr weisen seine E-Mails vom 19./20.10.2022 bzw. 22.12.2022 inhaltlich jeweils einen Sachbezug auf. So stehen sie im direkten Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Straf- (Fall II.1 der Urteilsgründe) bzw. Bewährungsverfahren (Fall II.2 der Urteilsgründe), deren Verbindlichkeit und Rechtswirksamkeit der Angeklagte nicht anerkennen wollte. Zwar spricht er in diesem Zusammenhang dem damit einhergehenden staatlichen Handeln unter Heranziehung von in der Reichsbürgerszene vertretenen Ideologien die Legitimität ab. Gleichwohl setzt er sich mit der Sache auseinander, auch wenn er für seine Äußerung eine Auffassung geltend macht, die einer Grundlage entbehrt. Den E-Mails lässt sich nämlich insoweit entnehmen, dass der Angeklagte diesen „Konstrukten“ Glauben schenkt, und er ist ersichtlich bemüht, diese durch Übersendung und Inbezugnahme verschiedener Gerichtsentscheidungen zu belegen. Demnach geht es ihm nicht darum, die Personen ohne Sachauseinandersetzung zu diffamieren, sondern darum, seine Weltwahrnehmung zu vertreten, die - ihre Geltung unterstellt - innerhalb der gegen ihn geführten strafrechtlichen Verfahren Wirkungen zu seinen Gunsten entfalten würde.
Randnummer45
bb) Da kein die Abwägung entbehrlich machender, von vornherein die Meinungsfreiheit verdrängender Ausnahmetatbestand erfüllt ist, bedarf es einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz der Persönlichkeit der jeweils Betroffenen. Hierzu bedarf es einer umfassenden und insbesondere allein einzelfallbezogen Güter- und Pflichtenabwägung, der kein allgemeingültiger Aussagegehalt zukommt. Wo - wie hier - im Rahmen der Abwägung der Meinungsfreiheit der Vorrang einzuräumen ist, mag dies in einem anderen Kontext durchaus abweichend zu beurteilen sein. Erhebliche Abwägungsgesichtspunkte begründen dabei insbesondere der Inhalt einer Äußerung, deren Form, Anlass und die konkreten Art der Verbreitung und Wirkung der Äußerungen.
Randnummer46
(1) Zunächst ist hierbei allgemein zu beachten, dass für die Reichweite des Schutzbereiches der Meinungsfreiheit nicht von Bedeutung ist, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. 2 Rv 4 Ss 193/18 v. 22.05.2018 - BeckRS 2018, 62931 <Rn. 10>). Auch eine polemische oder verletzende Formulierung kann in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 2433/17 aaO <Rn. 16>; 1 BvR 180/17 aaO <Rn. 11>). Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist insbesondere davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Allerdings erlaubt auch der Gesichtspunkt der Machtkritik nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern, deren Schutz auch im öffentlichen Interesse liegt (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 2397/19 aaO. <Rn. 32>).
Randnummer47
Schließlich gilt - wie ausgeführt -, dass die Ablehnung der vorgenannten Ausnahmetatbestände keine Vorfestlegung in dem Sinne darstellt, dass der Meinungsfreiheit im Vergleich zum Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eine höhere Gewichtung zukäme.
Randnummer48
(2) Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabes ist der Meinungsfreiheit jeweils der Vorrang einzuräumen.
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Auf der Seite der Meinungsfreiheit ist zunächst wesentlich, dass der Angeklagte seine Äußerungen in beiden Fällen nicht als unbeteiligter Dritter, sondern als Beteiligter an einem gerichtlichen Verfahren im Kampf um Rechtspositionen gemacht hat, wobei es nicht darauf ankommt, dass er seine Kritik auch anders hätte formulieren können. Insoweit mag sich der Angeklagte eine positive Auswirkung und Fortwirkung seiner Kritik im weiteren Ablauf der Verfahren versprochen haben; ob sie objektiv betrachtet zur Wahrnehmung seiner Interessen auch geeignet war, spielt dafür keine Rolle. Wenn es um eine Meinungsäußerung vor Gericht geht, darf „im Kampf um das Recht” ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um polarisierend seine Meinung zu Gehör zu bringen; selbst personenbezogene starke Formulierungen können gestattet sein. Nichts anderes kann gelten, wenn ein Angeklagter in seiner subjektiven Weltanschauung die Legitimation eines Richters oder einer gerichtlichen Entscheidung in Frage stellt und daraus für sich den Schluss zieht, Entscheidungen seien rechtsbeugend, betrügerisch oder willkürlich. Auch die Behauptung, jemand sei als Staatsbediensteter Teil eines „Nazivereins“, weil der Angeklagte eindringlich darauf beharrt, das dahinter stehende „staatliche Konstrukt“ sei als Rechtsnachfolgerin des Dritten Reichs zu betrachten, weshalb eine Legitimation nicht gegeben sei, kann als Kampf um eine Rechtsposition betrachtet werden. Das diese Äußerungen falsch sind und kaum als rationale Erwägung betrachtet werden können, ist - wie ausgeführt - nicht bedeutsam. Es bleibt daher dabei, dass es sich um Äußerungen handelte, mit denen er sich zur Wehr setzt, weil er die staatlichen Maßnahmen als unrechtmäßig ansah.
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Demgegenüber ist zu Gunsten des Ehrschutzes der Betroffenen zu berücksichtigen, dass der erhobene Vorwurf der Rechtsbeugung für jeden Richter eine schwere Kränkung bildet (vgl. OLG Celle, Urt. 31 Ss 9/15 v. 27.03.2015 - BeckRS 2015, 19099; BayObLG, Beschl. 1 St RR 75/2001 aaO.; OLG Jena, Beschl. 1 Ss 157/01 v. 04.07.2001 - NJW 2002, 1890 <1891>). Dies gilt umso mehr, wenn einer Richterin in diesem Zusammenhang ein im Eigeninteresse begangener Betrug ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für Andere vorgeworfen wird. Gleichermaßen gilt dies für den Vorwurf an eine Geschäftsstellenmitarbeiterin, sie sei Teil eines fortgesetzten NS-Regimes und begehe Menschheits- bzw. Kriegsverbrechen und handele willkürlich.
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Allerdings kann diesem Aspekt - insoweit streitend für die Meinungsfreiheit - hier nur eine eingeschränkte Bedeutung zukommen. Dem Angeklagten ging es nicht direkt um eine Ehrverletzung an den hinter der Richterin bzw. der Geschäftsstellenmitarbeiterin stehenden Personen als solchen. Vielmehr hat er diese vorrangig, wenn auch nicht ausschließlich (vgl. oben), als Teil seiner - obgleich realitätsfernen - Systemkritik und damit einer komplexen Meinung angesprochen und deren ausgeübte Rollen angegriffen. Schließlich ist einschränkend zu erwägen, dass das seitens des Angeklagten geltend gemachte und hinter seinen Äußerungen stehende „Konstrukt“ den jeweilige Ehrangriff abmildert, da es von dem weit überwiegenden Teil der Gesellschaft abgelehnt wird. Den Vorwürfen kommt daher nur ein geringes Gewicht zu. Darüber hinaus gilt für Fall II.2 der Urteilsgründe, dass die äußere Form, mit der er die Betroffene angesprochen hat, gesellschaftlichen Normen entspricht. So hat er sie mit „Sehr geehrte Frau [...]“ angesprochen und durchgehend gesiezt. Diese Form der Ansprache lässt erkennen, dass er hier - anders als beispielsweise in Fall II.1 der Urteilsgründe, in dem er seine Pflichtverteidigerin mit „Rechtsverdreherin“ angesprochen hat - der Person als solcher nicht generell ablehnend gegenübersteht.
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Zu Gunsten des Ehrschutzes muss des Weiteren in die Abwägung eingestellt werden, dass es sich jeweils um schriftliche Äußerungen handelt, bei denen ein höheres Maß an Bedacht zu fordern ist. Insoweit gilt indes einschränkend, dass der Angeklagte die E-Mails in beiden Fällen lediglich an einen kleinen Adressatenkreis richtete, der sich jeweils auf das Amtsgericht - und hier nur das zentrale Postfach - selbst, die Pflichtverteidigerin bzw. drei Rechtsanwälte sowie das Polizeipräsidium beschränkte. Dieser Personenkreis ist im weitesten Sinne dem Justizsystem zuzuordnen und für die mitgeteilten Inhalte wenig empfänglich. Die von seinen Äußerungen ausgehenden Wirkungen blieben mithin unbedeutend.
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In einer Gesamtabwägung dieser Umstände erscheint es insgesamt hinnehmbar, den Ehrenschutz in beiden Fällen zurücktreten zu lassen. Als Teil der Justiz bewegen sich insbesondere Richter im Spannungsfeld zwischen der Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes einerseits und ihrer privaten Berührtheit andererseits. In diesem müssen sie bedenken, dass ihre Entscheidungen für die Betroffenen häufig einschneidend sind und daher zu Reaktionen führen können, die sich trotz gegenteiliger Formulierung letzten Endes gar nicht gegen ihre Person oder Ehre, sondern vielmehr gegen die getroffene Entscheidung selbst und die Rechtslage als solche richten (vgl. OLG München aaO.; KG, Beschl. 1 Ss 470/09 aaO.). Dies gilt - wenn auch eingeschränkt - gleichermaßen für Beschäftigte der Justiz. Auch sie treten regelmäßig mit Angeklagten, Verurteilten, Parteien (etc.) nach außen in Kontakt, die sie sodann als Ansprechpartner und (mit)verantwortlich für ihr Schicksal betrachten. In die internen Vorgänge, insbesondere wer Entscheidungsträger oder Veranlasser eines Schreibens ist, haben Außenstehende keinen Einblick. Innerhalb dieses Spannungsfeldes sehen sich Richter und Justizbeschäftigte regelmäßig unberechtigten und haltlosen Vorwürfen ausgesetzt. Dies gilt es als systemimmanent auszuhalten, solange das Ansehen der Betroffenen keinen Schaden nimmt oder erheblich bedroht ist (vgl. auch OLG Celle aaO.).
3.
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Nach alledem unterliegen die Urteile des Amts- und Landgerichts Trier der Aufhebung und der Angeklagte ist freizusprechen.
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Der Senat kann gemäß § 354 Abs. 1 StPO selbst in der Sache entscheiden, da die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zweifelsfrei ergeben, dass sich der Angeklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafbar gemacht hat und weitere Aufschlüsse, die zu einer Verurteilung führen könnten, auch unter Berücksichtigung des Gebots umfassender Sachaufklärung und erschöpfender Beweiswürdigung nicht zu erwarten sind.
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Der Senat bemerkt abschließend ausdrücklich, dass die Entscheidung nicht als Billigung der Äußerungen des Angeklagten missverstanden werden darf. Die Auseinandersetzung mit Entscheidungen oder Vorgehensweisen von Behörden hat grundsätzlich allein mit den Mitteln zu erfolgen, die die jeweiligen Verfahrensordnungen zur Verfügung stellen, ohne dass Anlass und Raum für verletzende und kränkende, die gebotene sachliche Atmosphäre lediglich vergiftende Angriffe auf die handelnden Personen bliebe. Strafbar ist das Verhalten des Angeklagten nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Grundsätze allerdings noch nicht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man Richter, Justizbeschäftigte oder andere dem Rechtsstaat dienende Personen sonst auch straflos als Rechtsbeuger, Betrüger oder vergleichbar bezeichnen darf.
IV.
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Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 467 Abs. 1 StPO.