Der wichtigste Satz steht am Ende: „Es gilt die Unschuldsvermutung“.
Spoiler
Rüdiger von Pescatore ist zu diesem Zeitpunkt 42 Jahre alt und Kommandeur beim Fallschirmjägerbataillon 251 in Calw in Baden-Württemberg, einer Vorgängereinheit, aus der später das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw hervorging. Aus alten Gerichtsakten geht hervor, dass Pescatore die Waffen damals entgegennimmt. Sie sollen nach Süddeutschland zur Bundeswehr, damit sie dort genutzt werden können.
Es ist nicht die einzige Waffenübergabe dieser Art. Offenbar transportieren Pescatore oder seine Kameraden immer wieder legal Waffen zu Ausbildungszwecken. Denn es gibt damals die Erlaubnis, die Fremdwaffen der ehemaligen DDR bei der Bundeswehr zu nutzen. Aber viele der Waffen kommen dort offiziell nie an. Einige werden nicht ordentlich registriert, viele andere offenbar gar nicht. Am Ende gelten 165 Waffen als verschwunden.
Selbstbewusster Kommandeur
Pescatore ist damals ein angesehener Kommandeur. Ein ehemaliger Bundeswehrsoldat, der namentlich nicht genannt werden will, beschreibt Pescatore als jemanden, der damals den Eindruck vermittelte, "Über mir gibt es nichts mehr. So nach dem Motto: Ich kann machen, was ich will."Das erzählt der Ex-Soldat in einem in dieser Woche erschienenen Investigativpodcast von WDR und NDR, in dem die Geschichte von Rüdiger von Pescatores und auch der bis heute verschwundenen Waffen detailliert rekonstruiert wird.
Pescatore wird schließlich wegen der Waffengeschichte verurteilt und aus der Bundeswehr entlassen. Er geht nach Brasilien und versucht sein Glück im Solargeschäft, offenbar erfolglos. Bis heute ist er im brasilianischen Firmenregister als Präsident einer Firma eingetragen - allerdings offenbar ohne nennenswerte Aktivitäten.
Ex-Kamerad holt ihn zurück nach Deutschland
Er lebt sehr zurückgezogen in Brasilien, als ihn 2020 nach rund zwei Jahrzehnten in Südamerika die Nachricht eines ehemaligen Kameraden erreicht: Peter Wörner, einst beim KSK, diente er zur gleichen Zeit bei den Fallschirmjägern. "Sehr geehrter Herr Oberstleutnant", schreibt Wörner demnach im Oktober 2020 an Pescatore per Mail: "Wir stehen kurz vor dem Niedergang dieses widerwärtigen Systems. (...) Es steht eine dunkle Zeit an und viele werden in den nächsten Monaten beginnend, viel, wenn nicht alles verlieren."
Dann bittet er Pescatore wohl um Unterstützung: "Wir werden unser Reich wieder erschaffen sowie frei und souverän sein. Daran glaube ich unerschütterlich. (...) Ich wollte einfach mal wieder die Verbindung herstellen und glaube an die Unterstützung der Deutschen aus dem 'Außen'".
Rüdiger von Pescatore kehrt tatsächlich nach Deutschland zurück und soll sich der sogenannten Gruppe Reuß angeschlossen haben, so sehen es zumindest die Ankläger. Jener Reichsbürger-Gruppe, von der die Bundesanwaltschaft glaubt, dass sie einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant hat. Wörner steht nun ebenso wie Rüdiger von Pescatore vor Gericht. Er und Pescatore äußern sich zu den Vorwürfen nicht vor Gericht. Auch Fragen von WDR und NDR beantworten sie nicht.
Bundesanwaltschaft: "Anführer des militärischen Stabs"Aus Berichten und aus Chatnachrichten, die WDR und NDR einsehen konnten, geht hervor, dass Pescatore bereits einen Tag nach seiner Ankunft aus Brasilien in einem Ausflugslokal am Stadtrand von Frankfurt auf Heinrich Prinz Reuß XIII. trifft. Es soll ein wichtiges Kennenlerntreffen der "Gruppe Reuß" gewesen sein.
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass die Gruppe sich auf einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland vorbereitet haben soll und Pescatore der Anführer eines "militärischen Arms" der Gruppe gewesen sein soll. Als solcher soll er geplant haben, ein deutschlandweites System von Heimatschutzkompanien aufzubauen. Manche der Angeklagten bestreiten die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft, betonen, Gewalt sei nie geplant gewesen, andere, wie Pescatore, schweigen zu den Vorwürfen.
Festnahme in der Wohnung eines KSK-Soldaten
Als die Ermittlungsbehörden Pescatore schließlich am 7. Dezember 2022 in der Privatwohnung eines aktiven Bundeswehrsoldaten des Kommando Spezialkräfte festnehmen, stoßen sie neben geprägten Autokennzeichen mit der Aufschrift "M-Stab" und zahlreichen Planungsunterlagen für den Aufbau sogenannter Heimatschutzkompanien auch auf eine geladene Makarov-Pistole in einem Rucksack im Gästezimmer, in dem sie Rüdiger von Pescatore antreffen. Und tatsächlich: Die Waffennummer der Makarov stimmt nach Informationen von WDR und NDR mit einer der vermissten Waffennummern aus den alten Beständen der 1990er-Jahre überein.
Grabungen beim KSK
Ende 2022 nehmen die Ermittler dann die Suche nach den alten verschwundenen Waffen wieder auf, führen umfangreiche Rodungs- und Grabungsarbeiten auf einem Übungsgelände des KSK durch. Um überhaupt graben zu können, werden teils großflächig Büsche und Sträucher gerodet. Aber sie finden nichts.
Im Juni 2024 rücken die Ermittler dann erneut großflächig in Deutschland aus. Diesmal durchsuchen sie unter anderem das Grundstück eines Bekannten von Pescatore in Baden-Württemberg. Nach Recherchen von WDR und NDR soll der Mann Pescatore nach dessen Rückkehr aus Brasilien sein Fahrzeug geliehen haben, mit dem Pescatore schließlich observiert wurde. Tatsächlich sollen die Ermittler hier auf alte Waffen gestoßen sein.
Die Prozesse gegen Pescatore und 25 weitere Mitglieder der Gruppe Reuß laufen vor drei Gerichten in Frankfurt, Stuttgart und München. Es gilt die Unschuldsvermutung.