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Als Ellen M. an diesem schwülen Frühsommerabend an ihr Telefon geht, macht sie es kurz. „Nein“, sagt sie laut und bestimmt, „mit der Mainstreampresse reden wir nicht!“ Und dabei bleibt es. Die Frau, die in ihrer eigenen Welt lebt, ist so konsequent, mit Abgesandten der Welt, die sie ablehnt, nicht zu verkehren, und sei es am Telefon.
Ihre eigene Welt ist über zwei, drei kleine Dörfer in der Altmark verstreut, zu ihr gehören ihre drei Söhne und weitere zwei Dutzend Getreue. Diese Welt ist eine Art Staat. Sie nennt ihn: „Samtgemeinde Alte Marck“. Und das bismarckige „ck“ zeigt an, wohin ihre Sehnsucht sich richtet – auf eine frühere, vermeintlich bessere Zeit. Mehr Kaiser, mehr Otto von Bismarck wagen.
Ellen M. lebt an der „Straße der Romanik“, in einem ländlichen Idyll im Norden von Sachsen-Anhalt. Viele Fremde verirren sich nicht hierher. Es führt keine Autobahn in diese Region, nur eben diese romantische Ferienstraße, und dann gibt es noch einen herrlichen Badestrand, den Arendsee.
Großrazzia gegen Schleuserring
Arendsee, so heißt auch der Ort, an dem die Bundespolizei vor knapp sieben Wochen die Büroräume von Ellen M. durchsuchte. Ein Unternehmer aus Hamburg soll eingeschleuste Osteuropäer für wenig Geld unter anderem im Wachschutzgewerbe eingesetzt haben. Ellen M. soll seine Buchhalterin gewesen sein.
Der Razzia gingen umfangreiche Ermittlungen voraus. Der Verdacht: banden- und gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern. So war es auch, zahlreiche Illegale aus Moldawien wurden in Hamburg entdeckt. Zwei der drei Hauptbeschuldigten sitzen noch immer in Haft. Schon lange wunderte man sich in der Branche, wie diese Sicherheitsfirma ihre Preise so niedrig halten konnte.
Bei der Razzia in der Altmark kam noch etwas hinzu. Hier richteten sich die Ermittlungen auch gegen Personen, die offenbar zur Szene der Reichsbürger zählen, die also der Bundesrepublik Deutschland eine legitime Existenz absprechen und oft auch keine Steuern oder andere Gebühren zahlen. Einige Reichsbürger sind gewaltbereit und bewaffnet in Erscheinung getreten. Vor knapp zwei Jahren etwa erschoss einer einen Polizisten im mittelfränkischen Georgensgmünd. Darum waren bei der Razzia in der Altmark auch Spezialkräfte der Bundespolizei im Einsatz. Inzwischen ist klar, die Verbindung zur Reichsbürgerszene ist zufällig, sagt die Staatsanwaltschaft Lüneburg.
Eine harmlose Bürgerin vom Lande ist M. nicht. Als Vorsteherin der selbst ernannten „Samtgemeinde Alte Marck“ gebietet sie über eine Anhängerschaft von etwa 30 Personen, schätzen Behörden. „Ein geringer Teil davon ist strafrechtlich in Erscheinung getreten“, heißt es aus Sicherheitskreisen. Mindestens ein Mitglied der Gruppe besitzt eine waffenrechtliche Erlaubnis.
Die Gruppe um Ellen M. lehnt es vehement ab, als Reichbürger bezeichnet zu werden. Aber die Art, wie sie sich selbst auf ihrer Internetseite beschreibt, entspricht der der Reichsbürger – nämlich als „Staatliche Gebietskörperschaft und Weltanschauungsgemeinschaft“ mit Gebietsstand vom 31. Juli 1914. Einen Tag später hatte Deutschland Russland den Krieg erklärt. Es „gelten das HGB von 1897, das BGB von 1896 und das GVG von 1877, sowie weitere Gesetze aus der Zeit von vor 1914“. Weiter heißt es: „Zugleich wurde der letzte Gebietsverwalter – die Russische Föderation – informiert.“
2015 gegründet taucht die Gruppe um Ellen M. seit 2016 in den Verfassungsschutzberichten von Sachsen-Anhalt auf. Mehr als 18.000 Personen rechnet das Bundesamt für Verfassungsschutz mittlerweile dem Milieu der Reichsbürger zu, etwa 500 davon in Sachsen-Anhalt.
Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Reichsbürger enorm an, aber nicht, weil sich diese Szene verstärkt verbreitet, sondern weil die Sicherheitsbehörden genauer hinschauen. „Aktivitäten der Reichsbürger und Selbstverwalter werden mittlerweile in größerem Umfang gemeldet als in der Vergangenheit“, erklärt der sachsen-anhaltinische Verfassungsschutzchef Jochen Hollmann. Er rechnet auch künftig damit, „dass sich das Verhalten von Reichsbürgern gegenüber staatlichen Institutionen fortsetzt, weil sich ihre grundsätzliche ideologisch begründete Ablehnung des Staates nicht verändern wird“.
Es kommt noch ein weiterer, wichtiger Punkt hinzu: „Durch die stetige Vernetzung der Szene im Internet nimmt auch die Mobilisierung des Unterstützerfeldes zu“, sagt Hollmann.
Was wäre eine Bewegung wie die der Reichsbürger schließlich ohne Facebook? Auch Ellen M.s Ablehnung der Gegenwart geht nicht so weit, auf moderne Medien zu verzichten – im Gegenteil. Ellen M., nicht groß, nicht dünn, schwarz gefärbtes Haar, sorgfältig geschminkt, oft bunt gekleidet, zeigt sich und ihre Familie gerne in den sozialen Netzwerken. Ihre Söhne, alle drei groß und breitschultrig, arbeiten mit ihr im Sicherheitsgewerbe. Am Tag nach der Razzia schreibt sie ihren 2600 Facebook-Freunden: „,Besuch‘ am frühen Morgen“, dazu ein Smiley.
Sie bezeichnet sich auf Facebook als „deutsche Patriotin“, deren Vorbilder „unser Otto von Bismarck und der gute Alte Fritz“ sind. Einmal schreibt sie: „Unser Otto! Ein großer Mann! … Er hat für uns DEUTSCHE etwas Einmaliges geschaffen! Informiert Euch endlich und das NICHT bei den BEZAHLTEN Medien!“
Auf M.s Facebook-Account findet sich auch ein Zitat des 1813 im antinapoleonischen Befreiungskrieg gefallenen patriotischen Schriftstellers Theodor Körner: „Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten. Vom Feinde bezahlt, dem Volke zum Spott. Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten, dann richtet das Volk. Dann gnade Euch Gott!“
Kommunale Verwaltungsstruktur
In den Ermittlungen gilt Ellen M. derzeit nur als Zeugin, nicht als Beschuldigte. Dennoch ist sie eine besondere Erscheinung in der Bewegung. Nicht nur, weil sie zu den wenigen Anführerinnen in der Szene gehört – rund 80 Prozent der Reichsbürgerbewegung sind Männer –, sondern auch, weil sie geschafft hat, wovon Gesinnungsgenossen anderswo träumen. Sie hat eine autonome kommunale Verwaltungs- und Wirtschaftsstruktur in der Altmark aufgebaut.
Die Anhänger ihrer „Samtgemeinde Alte Marck“ ordnet der Verfassungsschutz den sogenannten Selbstverwaltern zu, einer Untergruppe der Reichsbürger. Sie nehmen für sich in Anspruch, aus der Bundesrepublik „austreten“ zu können, und reklamieren rechtliche Autonomie.
Wer Ellen M.s kleines Reich im Luftkurort Arendsee besuchen möchte, der beginnt am besten in der Bahnhofsstraße. Still ist es hier. Ältere Männer in Badeshorts fahren zwischen Backsteinhäuschen auf ihren Fahrrädern umher. Ältere Aushänge an Ellen M.s Büro informieren über Dienstleistungen und Preise ihrer Sicherheitsfirma. Es ist auch das „Bürgerbüro“ der Gemeinde. Anwohner berichten, sie sähen die Securitychefin kaum auf der Straße.
Streit am Arendsee
Fast niemand will über Ellen M. sprechen. Manche erzählen, dass es vor zwei Jahren in Arendsee zum Streit gekommen ist. Mitglieder der selbst ernannten Samtgemeinde legten ihre Ämter nieder und verließen diese. Damals stand der Vorwurf im Raum, M. folge nur ihren eigenen Geschäftsinteressen.
An Selbstbewusstsein mangelt es Ellen M. nicht. Bis heute nimmt sie „standesamtliche“ Handlungen im Namen ihrer „Samtgemeinde“ vor und versichert deren Rechtswirksamkeit. Gegen Gebühren vergibt M. Geburtsurkunden, schließt Ehen und stellt Gewerbescheine aus. Zahlbar in Mark und Silber. Der Versand der Dokumente allerdings finde „aufgrund des abfangend seitens der FIRMA POST“ (sic!) nicht mehr statt. Ellen M. ist nicht die Einzige, die den Retrotraum träumt. Auch andere Gewerbetreibende in der Altmark meldeten ihre Gewerbe ab und zahlen keine Steuern mehr.
Das stille Dreieck zwischen Hamburg, Berlin und Hannover liegt – abgelegen und dünn besiedelt – in einer Gegenwartsferne, die man sich in den Großstädten nicht vorstellen kann. Sie lädt ein, sich hier anzusiedeln und abzusondern. Seit Jahren gilt diese Gegend als Refugium von Rechten, Reichsbürgern und Selbstverwaltern. Nicht wenige Hausbesitzer um Arendsee herum drücken ihren separatistischen Traum mit dem Hissen von US-Südstaatenflaggen aus.
Teure und schnelle Autos
Drei ältere Frauen genießen die Sonne auf einer Bank im benachbarten Wohlenberg – auch dieser Ort gehört zu Ellen M.s „Samtgemeinde“. Eine der drei berichtet hinter vorgehaltener Hand, die Familie M. halte sich meist aus dem Dorfleben heraus, sie sehe einige von denen oft in ihren diversen Limousinen mit hoher Geschwindigkeit übers Kopfsteinpflaster jagen. Schon lange wunderte man sich hier, wie die Familie M. sich die teuren Autos leisten könne. Eine Familie, der Ellen M. ein Haus vermietet hatte, erzählt die Dame von der Bank, gehöre auch zu den Reichsbürgern. Die Polizei habe sie damals öfter besucht, weil die Kinder nicht in die Schule gingen. Die Schulpflicht ihrer Kinder zu missachten, ist eine typische Reichsbürgerattitüde.
M. sieht sich gern als eine Frau, die „Spuren hinterlassen“ möchte, wie sie einmal im Interview mit einer Zeitung betonte, als sie noch mit Journalisten sprach. Aus Ellen M.s Spuren im Internet lässt sich eine typisch ostdeutsche Biografie lesen.
Geboren 1966 lässt sie sich in den 90ern nach eigenen Aussagen zur Gesprächspsychologin ausbilden. Sie betreibt eine Zeit lang ein Nagel- und Kosmetikstudio namens „Wolke 7“ in Wittenberge, für das sie bald keine Zeit mehr findet, weil sie sich für die Lakota-Indianer in den USA einsetzt. In einem Zeitungsartikel über ihr Engagement sagt sie, sie wolle nicht, dass jemand etwas über ihren beruflichen Werdegang erfahre. Schon damals wird klar, dass M. große, schnelle Autos mag. Seit 1994 will sie im Wachschutzgewerbe tätig sein, nun ist sie Inhaberin einer Sicherheitsfirma. Im vergangenen Jahr wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet, vorausgegangen war die „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ gegenüber Behörden.
Wer also ist Ellen M.? Eine wunderliche Träumerin oder eine gefährliche Person? Der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt hält ihre Samtgemeinde für nicht gefährlich. Einige Anwohner sehen das anders. Vor zwei Jahren, so erzählt einer, habe einer ihrer drei Söhne einen in einem Nachbarort ansässigen Arzt verprügelt. Es sei um die Behandlung des Enkelkindes von Ellen M. gegangen, die in den Augen des Vaters nicht schnell genug erfolgte. Dieser Sohn von Ellen M. sitzt inzwischen wegen dieser und anderer Straftaten im Gefängnis. Ellen M. bedroht den Arzt bis heute.