Autor Thema: Schulungsbericht  (Gelesen 3918 mal)

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Müllmann

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Schulungsbericht
« am: 4. Juli 2014, 17:21:30 »
Liebe Sonnenstaatler,

wie gewünscht werde ich von einer von mir diese Woche besuchten Schulung zum Umgang mit schwierigen Kunden berichten.

Anlass für die Schulung waren die Vorfälle rund um Daniel S., die zu telefonischen Bedrohungen von mir und anderen Mitarbeitern meiner Einrichtung geführt haben. Als Krönung stand besagter Herr auch einmal bei uns vor der Tür. Nachdem Herr S. vom LG Berlin wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, waren meine Vorgesetzten so nett, mir und anderen möglicherweis zukünftig betroffenen Mitarbeitern, eine Schulung zum Umgang mit, na sagen wir mal nicht rational handelnden Personen, zu spendieeren.

Die Schulung ging bisher über zwei Tage zu jeweils 4 Stunden, ein dritter Schulungstag in etwa 6 Wochen ist vorgesehen. Die Teilnehmerzahl lag bei 9 Personen. Das Thema wurde bewusst allgemein gehalten, also nicht speziell auf die Reichi-Problematik abgestellt, aber schon mit Bezug zu Herrn S. und den von ihm angewandten Techniken der "Gesprächsführung".

Durchgeführt wurde die Schulung von 2 Personen, einem Psychiater aus der Aufnahmestation eines Krankenhauses und einer Psychologin, die unter anderem Opfer von Bedrohungshandlungen therapiert. Beide haben solche Schulungen schon für Mitarbeiter verschiedener Behörden, wie Gerichten, Haftanstalten, Polizei, Feuerwehr etc. sowie für Mitarbeiter von Krankenhäusern mit psychiatrischen Abteilungen durchgeführt.

Eingestiegen wurde gleich mit einem Rollenspiel. Einer der Trainer spielte einen potentiellen Autoknacker, der sich an einem Firmenwagen zu schaffen macht. Einer von uns war der hinzukommende Nutzer des Fahrzeugs und musste mit der Situation umgehen. Sein Verhalten wurde in der Gruppe besprochen, Ratschläge gegeben und dann die Situation noch einmal wiederholt. Allerdings verhielt sich der Trainer diesmal anders und der Proband musste erneut improvisieren.

Jetzt folgte ein mehr theoretischer Block. Besprochen wurde das Vehalten des Probanden, beispielweise warum er sich der Gefahr eines körperlichen Angriffs ausgesetzt hat, um ein Firmenauto zu beschützen. Anhand der Anfangsszene von "Falling down" wurden die äußeren Anzeichen für psychotisches Verhalten herausgearbeitet sowie die Wahrnehmungsveränderungen, die sich bei einer psychotischen Person selbst einstellen (Tunnelblick, extreme Wahrnehmung von Details, gewöhliche Dinge wirken auf einem bedrohlich etc.). Wir erhielten dann eine Checkliste "Aggressionen und Gewalt erkennen" und mit dieser wurde dann die Szene im Laden als Hausaufgabe bearbeitet. Ziel war es zu erkennen, wann Michael Douglas austicken wird. Für Leute, die den Film kennen war das natürlich sinnfrei, daher kann ich zu der Nützlichkeit der Liste jetzt nicht so viel sagen.

Weiter ging es in Gruppenarbeit. Ermittelt wurden die Faktoren, die eine Situation beeinflussen können, getrennt nach den Gruppen "Ich", "Gegenüber", "Umfeld". Ergebnis war die Erkenntnis, dass es auch zu einem hohen Maß auf meine eigene Stimmung und Vorerfahrung ankommt, wie sich eine Situation entwickeln wird.

Weiter geht es mit derZzusammenstellung eines ersten Werkzeugkastens mit Verhaltensweisen für bedrohliche Situationen. Nun wurde der Fokus auf die eigenen Streßreaktionen gelegt. Wie reagiert unser Körper auf Stress, wie auf Bedrohung? Besprochen wurden die drei möglichen Reaktionen "Angriff", "Flucht" und "Erstarren". Jeder sollte für sich selbst entscheiden, zu welcher Reaktion er oder sie neigt.
Anhand eines Fragebogens wurde ein persönliches Stressverstärkerprofil für jeden Teilnehmer ermittelt.

Mein Profil sieht zum Beispiel so aus:

Ich kann nicht! = 5
Sei auf der Hut! = 6
Sei stark! = 10
Sei beliebt! = 2
Sei perfekt! = 9

Ich neige also dazu, Anerkennung durch Erfolge zu suchen, Anerkennung als Person ist bei mir dagegen unterrepräsentiert, was mich zu rüpelhaften Umgangsformen neigen lässt. Unhabhängigkeit wiederum ist mir sehr wichig und lässt mich nicht nach Hilfe fragen oder diese annehmen. Mein Streben nach Sicherheit ist durchschnittlich ausgeprägt.

Mit diesen Informationen über einen selbst ging es in das nächste Rollenspiel. Besprochen wurde, dass es hilfreich sein kann, einen Anrufer an einen Kollegen weiterzureichen, wenn man selbst nicht mehr weiterkommt. Der Anrufer, der sich seinen Plan zurechtgelegt hat wird so aus dem Konzept gebracht und gibt vielleicht sogar auf. Im Team sollte besprochen werden, dass es es in Ordnung ist, problematische Anrufer weiterzureichen und dies nicht als Abschieben von unliebsamen Aufgaben verstanden werden darf. Insbesondere die Damen mit einer hohen Ausprägung von "Sei beliebt!" und die Herren mit hohem "Sei stark!" hatten mit dem Vorschlag so ihre Probleme. Geübt wurde dann das Durchreichen einer nervigen Anruferin, die immer das gleiche erzählte und ein Nein als Antwort einfach ignorierte und wieder von vorne anfing.

Jetzt sollte ich von den Telefonaten mit Herrn S. erzählen und was diese bei mir an Gefühlen bewirkt hatten. Einwurf der Kollegen, die nicht persönlich mit ihm zu tun hatten, entsprachen der Meinung von Chaos. Einfach Auflegen und nicht wieder rangehen. Besprochen wurde weiter, dass es eine Art Stufenplan der Reaktion bei bedrohlichen Situationen geben sollte, wo zum Beispiel auch der Nachsorge für die "Opfer" geregelt ist. Bemägelt wurde, dass ich viele Gespräche alleine geführt hatte, oft Freitag Nachmittag und dann bis zum Montag niemanden hatte, mit dem ich das Erlebte aufarbeiten konnte. Vereinbart wurde, dass es für solche Fälle eine Liste mit den Privatnummern von Kollegen geben soll, die dann angerufen werden können. Etwa die Hälfte der Kursteilnehmer war bereit, sich in diese Liste einzutragen.

Zum Abschluss des ersten Tages wurden noch in einer Fragerunde persönliche Techniken zur Stressbewältigung gesammelt (z.B. Schreien, ruhig atmen, Rauchen, Sport, Schokolade etc.). Beendet wurde der erste Tag mit einer "One minute meditation": http://www.youtube.com/watch?v=F6eFFCi12v8

Der zweite Tag begann mit einem Fragebogen zum eigenen Umgang mit belastenden Ereignissen (innere Stärken, innere Helfer, Bewältigungssrategien, stabilisierende Aspekte etc.). Dann wurde das Krankheitsbild F.22 Wahnstörungen und seine verschiedenen Ausprägungen besprochen. Zum Beispiel der bei unserer Klientel so beliebte Querulantenwahn. Auslösender Faktor bei unseren speziellen Freunden aus dem Reich ist nach Meinung der Psychologin zu wenig Aufmerksamkeit in der kindheit, die sie sich jetzt holen wollen. Also wenn ich so an Mario, Mike und die Peters denke, dann scheint mir das nicht abwegig zu sein. Wenn wir uns dann noch mit ihnen beschäftigen, machen wir eigentlich genau das Falsche und bestärken sie noch. Da es mir nach den Erzählungen vom ersten tag schon nicht gut ging, wurde mir dringend geraten, mich vom SSL-Forum fernzuhalten oder zumindest meine Aufenthaltszeit bewusst einzuschränken.

An Beispielen wurde erläutert, dass es sinnlos ist mit Personen zu diskutieren oder dies überzeugen zu wollen, wenn sie einen akuten Schub haben. Daher muss ich wohl Chaos zustimmen, mit Reichis lange zu telefonieren bringt nix.

Wenn die Personene grad keinen Schub haben können sie durchaus zugänglich sein und fühlen sich dann oft abgelehnt, weil man sie so behandelt, wie sie sich selbst beim letzten Schub aufgeführt haben. Wahnstörungen sind schwer heilbar, sie können nur medikamentös eingestellt werden, Therapie bringt nix. Der Wahn kann sich mit der Zeit ändern, nur weil einer kein Reichi mehr ist heisst das noch lange nicht, dass er normal ist. Und es gibt auch sowas wie Moderichtungen im Wahn. Früher waren die Leute Napoleon oder Gott, heute sind sie Reichskanzler oder König von Neudeutschland.

Und obwohl die Leute eine psychiatrische Störung haben können sie trotzdem intelligent sein. Oft besitzen sie sogar eine höhere emotionale Intelligenz als normale Leute. Daher ist es ihnen oft mühelos möglich, sich auf die verschiedenen Gegenüber einzustellen und ihre Taktik entsprechend anzupassen. Hier raten die Dozenten zu mehr Gelassenheit.

Man sollte es anerkennen, wenn das Gegenüber einen ausgetrickst hat. Dies sei eine beachtliche Leistung. Im Nachhinein stellt sich Vieles als Fehler heraus, was in der Situation selbst für richtig befunden wurde. Auch hier gilt, dass man sich nicht über sich selbst ärgern solle. Im Team wurde vereinbart, keine klugen Ratschläge zu geben, wenn man sich selbst in einer Situation anders verhalten hätte. Erst nach einigen Tagen sollten die Situation analysiert und Lehren für die Zukunft gezogen werden.

Nun gab es das finale Rollenspiel. Ich spielte Herrn S. und der Kollege, der meinte man hätte einfach auflegen sollen war der Angerufene. Der Kollege durfte jederzeit unterbrechen, wenn er sich überfordert fühlte und auch die Trainer haben regelmäßig unterbrochen. In der Gruppe wurden dann Verhaltensvorschläge gesammelt und die Situation erneut durchgespielt. Ich habe meine Rolle wohl so gut gespielt, dass meine Kollege hinterher ziemlich fertig war und zugeben musste, dass auch er es nicht geschafft hätte, den Herrn S. loszuwerden.

Die anderen Kollegen, die mit Herrn S. Konakt hatten hielten mein Verhalten für so authenisch, dass sie sich selbst etwas mulmig fühlten. Mir ging es auch ziemlich schlecht danach. Ich dachte eigentlich, die Sache wäre abgehakt. Mit menem Einversändnis wurde dann über meine Empfindungen damals und aktuell gesprochen und es wurden verschiedene Beratungs- und Hilfsangebote vorgestellt, zum Beispiel bieten die Berufsgenossenschaften Unterstützung an. Eine Bedrohungssituation wird dort wie ein Arbeitsunfall gehandhabt und sollte gemeldet werden. Bis zu 5 Gesprächssitzungen übernimmt die BG in einem solchen Fall ohne größere Probleme und vermittelt Termine innerhalb von 14 Tagen. Bei uns in der Stadt gibt es sogar ein Krisentelefon. Die Leute kommen auch und holen einen ab und bringen einen nach Hause, wenn man sich nach einer Bedrohung nicht alleine vor die Tür traut.

Es folgte eine weiter Entspannungsübung: Man beobachte seine Umgebung und zähle jeweills 5 Dinge auf die man sieht, spührt und hört. Danach vier Dinge, drei Dinge, Zwei Dinge. Dadurch werden die Gedanken abgelenkt von der unangenehmen Situation.

Im abschließenden Teil wurde der Werkzeugkasten vom ersten Tag aufgegriffen. Es wurden Formulierungen gesammelt um Zeit zu gewinnen, aus einer Situation herauszukommen, dem Gesprächspartner weitere Informationen zu entlocken etc. Jetzt wurde der Stufenplan zum Eskalationsmanagement angegangen. Wie kann den "Opfern" geholfen werden, wer ist Ansprechpartner, was gibt es für Möglichkeiten, wenn die Polizei noch nicht einschreiten kann/will/darf, ab wann wird ein Krisenstab einberufen, wer wird beteiligt etc.

Als Hausaufgabe soll sich jetzt jeder seinen persönlichen Werkzeugkasten mit 5 bis 10 Strategien/Formulierungen zusammenstellen und als Zettel im Schreibtisch haben. In etwa 6 Wochen treffen wir uns dann wieder und werden den Werkzeugkasten analysieren.

Zur Vertiefung: http://www.psychiatrie-verlag.de/buecher/detail/book-detail/vom-umgang-mit-schwierigen-und-gewaltbereiten-klienten.html

Fragen an mich gerne per PN.



 
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Re: Schulungsbericht
« Antwort #1 am: 4. Juli 2014, 21:42:39 »
Danke!!!
 

Offline WendtWatch

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Re: Schulungsbericht
« Antwort #2 am: 4. Juli 2014, 21:59:21 »
Vielen Dank für den ausführlichen und aufschlussreichen Bericht.
Was heute Systemkritik heißt, ist oft kaum mehr als eine organisierte Denkverweigerung. (Nils Markwardt, Zeit)
 

Offline drxdsdrxds

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Re: Schulungsbericht
« Antwort #3 am: 4. Juli 2014, 23:43:52 »
Danke