Heute Abend möchte ich einmal den Blick etwas ausweiten und auf Erscheinungen hinweisen, die meines Erachtens einige verblüffende Ähnlichkeiten zu den Reichsbürgern aufweisen.
Gerade lese ich ein Buch über die Gegenpäpste. In der Vergangenheit gab es ja immer wieder einmal die Erscheinung, dass neben einem allgemein oder doch weithin anerkannten Papst (meist, aber nicht immer in Rom) einer oder mehrere Papst-Prätendenten auftraten, die von sich behaupteten, die einzig wahren Päpste zu sein. Das nahm bisweilen bizarre Formen an.
Einen einsamen Höhepunkt erreichte das Gegenpapsttum im "Großen Abendländischen Schisma" zwischen 1378 und 1417: Nach einer Spaltung im Kardinalskollegium, der zum Widerruf der erfolgten Wahl führte, wählte die Mehrheit der Kardinäle in einem neuen Konklave einen neuen Papst, der später in Avignon residierte. Somit gab es einen Papst in Rom, der Teile Europas hinter sich hatte, und einen anderen, der in Avignon sass und ebenfalls weite Teile Europas hinter sich wusste. Beide Päpste und ihre Anhänger sahen sich selbst als rechtmäßig und die Wahl des Konkurrenten für fehlerhaft und illegal an. Als man doch allmählich dieser Situation überdrüssig wurde, setzten sich die Kardinäle aus Rom und Avignon in Pisa zusammen, wo die beiden bisherigen Päpste für abgesetzt erklärt und ein neuer Papst gewählt wurde, der danach in Pisa residierte. Somit gab es nun drei einzig rechtmäßige Päpste. Erst auf dem Konzil in Konstanz gelang es, nachdem der Papst aus Pisa abgesetzt und verhaftet worden, jener aus Rom zurückgetreten und derjenige in Avignon kalt gestellt worden war, einen allgemein anerkannten Papst zu wählen.
Der Papst-Prätendent in Avignon, Benedikt XIII., vertrat allerdings weiterhin den Standpunkt, er sei der einzig rechtmäßige Papst, alle anderen Wahlen seien fehlerhaft, illegitim und illegal, und zog sich, als er in Avignon nicht mehr bleiben konnte und fast alle Unterstützung verloren hatte, nach Peñíscola zurück, wo er mit einem kleinen Gefolge "Kurie" spielte, also eine Art Schein-Papsttum pflegte. Vor seinem Tod ernannte er noch vier Kardinäle, von denen drei dann einen Nachfolger wählten, der sich noch einige Jahre auf dem einsamen Felsen hielt, bevor er zurücktrat.
Der vierte ernannte Kardinal kam erst einige Jahre später nach Peñíscola und dort zum Schluss, dass die Wahl seiner Kardinalskollegen ebenfalls fehlerhaft und ungültig gewesen sei. Er trat daher zu einer Art Ein-Mann-Konklave zusammen und wählte sich einen "Papst" mit dem Namen Benedikt XIV. Als dieser einige Jahre später von seinem Amt Abstand nahm, übernahm er selbst kurzerhand das "Papsttum" unter demselben Namen. Nach, allerdings zweifelhaften, Nachrichten in Chroniken soll es später in derselben Linie auch noch einen Papst Benedikt XV. und XVI. gegeben haben, die aber so schemenhaft bleiben, dass man sie nicht wirklich historisch greifen kann.
Wir sehen in dieser Geschichte einige uns hier wohl bekannte Momente:
- Zunächst ist ein hohes Maß an Rechthaberei zu erkennen: Jeder der "Päpste" war davon voll und ganz überzeugt, im Recht zu sein und alles richtig gemacht zu haben. Auch unter deren näheren Anhängern und Unterstützern wurde diese Auffassung geteilt, wenngleich am Ende nicht immer mit derselben "brutalen" Sturheit.
- Juristische, in diesem Fall: kirchenrechtliche Haarspalterei herrschte ebenfalls vor. So wurden bei den jeweils anderen Wahlen immer Gründe gefunden, die diese ungültig, illegitim und nichtig machten. Besonders Benedikt XII. zeichnete sich dabei aus: Da er als einziger Beteiligter bereits vor 1378 Kardinal gewesen war und 1417 zugleich der einzige überlebend Kardinal aus der Zeit vor der Spaltung, erklärte er sich kurzerhand zum einzigen echten und wahlberechtigten Kardinal und schlug ernsthaft vor, er wolle in einer Art Ein-Mann-Konklave einen legitimen Papst wählen (was vom Konzil aber zurückgewiesen wurde).
- Verkennung der Wirklichkeit kam bei den Beteiligten ebenfalls vor. Besonders unter Benedikts XIII. Nachfolgern ist diese stark ausgeprägt gewesen: Sie saßen einsam, nur von wenigen Getreuen umgeben, auf einem Felsen hinter einer Festungsmauer oder versteckten sich sogar im Untergrund, ohne wirklichen Anhang und ohne tatsächliche Macht. Trotzdem nahmen sie allem Anschein nach ihr "Amt" überaus ernst.
- Fehlende tatsächliche Amtsgewalt und ein Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit sind ebenso zu bemerken. Konnten zumindest anfangs einige der Gegenpäpste wenigstens teilweise tatsächliche Amtsgewalt ausüben, so ging diese später verloren oder bestand, namentlich bei den erwähnten "Benedikten", von Anfang an nur dem Anspruch nach, aber nicht faktisch.
- Besonders fällt aber auf die fast vollständig fehlende Bereitschaft, aus den Fakten zu lernen, selbst unter extremem Druck (Vertreibung, Abtauchen in den Untergrund). Vielmehr ist eine hartnäckig "kontrafaktische" Haltung auffällig.
Nehmen wir diese Eigenschaften zusammen, haben wir doch bereits in Spätantike und Mittelalter das grundsätzliche Seelengerüst eines heutigen RD.